Shaun Tan: Ein neues Land

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

In dieser textlosen Graphic Novel wird in hunderten sepiafarbenen Bildtafeln, die der australische Künstler auf über 120 Seiten zusammenfügt, in einer emotionalen Intensität erzählt, der man sich nicht entziehen kann: Ein Mann verlässt Familie und (undefiniert bedrohliche) Heimat, überquert den Ozean und baut sich in einem neuen Land eine Existenz auf. Findet Arbeit, trifft auf andere, die ihm von ihrer jeweiligen Heimat erzählen, von Verfolgung, Krieg, Tod und ihrer Flucht. Der Mann schließt Freundschaften, findet sich immer besser zurecht. Und holt schließlich seine Frau und seine Tochter zu sich. Das Ende zeigt uns das Mädchen, wie es im neuen Land in jeder Hinsicht ankommt.

Dieses Buch berührt mich immer noch, auch nach vielfachem Betrachten. Das liegt nicht sosehr daran, dass es auf höchstem künstlerischem Niveau umgesetzt ist, nicht an den visuellen Referenzen, Hommagen an berühmt gewordene Bilder, Ansichtskarten und Fotografien. Es liegt an den Gesichtern, die einen unverwandt anschauen, den Bildausschnitten, die mit ihren genau überlegten Zooms und Fokussierungen unseren Blick auf Details richten, den Bildfolgen, die ohne jedes Wort Emotionen vermitteln und erzeugen: Liebe, Trauer, Einsamkeit, Freude, Geborgenheit, Angst, das Gefühl von Fremdheit und Vertrautheit.

In diesem Werk steckt Herzblut. "Große Teile dieses Buches wurden von Anekdoten und Geschichten inspiriert, die Migranten aus verschiedenen Ländern und Zeiten erzählt haben, darunter auch mein Vater, der 1960 von Malaysia nach Australien gekommen ist", sagt Shaun Tan in der Nachbemerkung. Und in einem Interview: "Ich wollte mit „Ein neues Land“ beweisen, dass es auch Bilderbücher für Erwachsene geben kann." Das ist ihm ohne Wenn und Aber gelungen.

Karin Haller


Cover

Shaun Tan: Ein neues Land (Originaltitel: The Arrival )

Hamburg: Carlsen 2008, 128 S., lieferbar