Wolfgang Herrndorf: Tschick

Lebensfreude, trotz allem …

Bestsellerlisten, Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse – „Tschick“ ist offensichtlicher Grenzgänger zwischen Jugendbuch und allgemeiner Literatur. „Lada auf großer Fahrt“ titelte das Feuilleton enthusiasmiert. Zu Recht.

Der Ich-Erzähler Maik und sein Mitschüler Andrej Tschichatschow vulgo Tschick – was für Helden! Der eine aus stinkreichem Elternhaus, so angepasst, dass er praktisch nicht mehr gesehen wird, der andere ein asozialer Russlanddeutscher aus halbkriminellen Verhältnissen, der auffällt wie ein bunter Hund. Zusammen brechen die beiden Jungs in einem geklauten schrottreifen Auto auf zu einer Reise quer durch Ostdeutschland. Sie landen auf einer Mülldeponie, wo sie ein Mädchen mit strengem Geruch und großem Herz treffen, bauen einen Unfall, bei dem ihnen eine stark übergewichtige Sprachtherapeutin hilft, trinken Fanta mit einem ehemaligen Soldaten, der erst mal auf sie schießt, bevor er ihnen seine Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt. So exzentrisch diese Figuren sein mögen – zum Erstaunen Maiks haben sie alle auch etwas Freundlich-Liebenswertes an sich. Denn das ist die Lektion der auf eine Woche verkürzten Lehr- und Wanderjahre: Nicht alle Menschen sind schlecht.

„Tschick“ ist ungeheuer komisch, ohne sich mit billigen Witzen zu begnügen, und nachdenklich, ohne in tiefgründiger Schwere zu versanden. Der Roman fährt gewissermaßen zweispurig: Auf der einen Seite brettert er mit viel Situationskomik und hinreißenden Dialogen auf der Überholspur dahin, auf der anderen lässt er die beiden Protagonisten mit existentiellen Gefühlen und Fragen auf dem Pannenstreifen dahinrollen. Wenn man dieses Buch jetzt liest, weiß man, dass im Jahr seines Erscheinens bei Wolfgang Herrndorf ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert wurde, kennt sein darauffolgendes digitales Tagebuch, weiß, dass er sich im August 2013 das Leben genommen hat. Und ist überwältigt von dem lebensbejahenden Optimismus, der puren Freude am Sein, die dieser Text ausstrahlt. „Tschick“ wird bleiben. Ganz sicher.

Karin Haller


Cover

Wolfgang Herrndorf: Tschick

Berlin: Rowohlt 2010, 256 S., lieferbar