Allan Stratton: Zoe, Grace und der Weg zurück nach Hause

"On the Road" mit einer dementen Oma – berührend ohne Pathos, humorvoll ohne Klamauk.

München: Hanser 2020
256 S. | € 16,50 | ab 12



Jeder Mensch hat seinen eigenen Blick auf die Welt, Wahrnehmungen und Erinnerungen sind subjektiv gefärbt. Es ist manchmal schwierig, die Realität eines anderen zu begreifen, und fast unmöglich, wenn diese nur mehr wenig mit Tatsachen zu tun hat.

Und doch versucht Zoe genau das, als ihre über alles geliebte Großmutter an Alzheimer erkrankt. Mit unendlich viel Geduld und Einfühlungsvermögen kümmert sich Zoe um Oma Grace, die allein in ihrem riesigen Haus lebt, verwahrlost und – mit Ausnahme ihrer Enkelin – ohne nennenswerte soziale Kontakte. Denn einfach ist es nicht, mit der alten Frau auszukommen. Doch Zoe nimmt Granny so, wie sie ist, ohne deren Weltsicht korrigieren zu wollen. Zwischen den beiden herrscht eine tiefe Verbundenheit, die es dem Mädchen unmöglich macht, die Entscheidung der Eltern einfach so hinzunehmen: Oma Grace muss ins Pflegeheim, egal, wie unglücklich sie dort ist. Alternativen werden nicht einmal überlegt.
Damit verliert Zoe die einzige Verbündete. Denn ihre Eltern stehen grundsätzlich nicht auf der Seite ihrer Tochter, erst recht nicht, wenn es um Cousine Madi geht, die Zoe mit heuchlerischem Engelsgesicht mobbt, verleumdet und einmal sogar schwer misshandelt.
Als die Eltern nicht einmal diesen Vorfall glauben, reicht es. Zoe befreit Oma Grace aus dem Heim und macht sich mit ihr auf nach Toronto, wo sie die Adresse des Onkels ausfindig gemacht hat: Teddy, der vor vielen Jahren den Kontakt zur Familie abgebrochen hat – oder war es umgekehrt, und die Großeltern wollten nichts mehr von ihrem ältesten Sohn wissen? Zoe wird es im Laufe der abenteuerlichen Fahrt herausfinden. Eine Reise, die ihr alles abverlangt, denn es wird immer schwieriger, sich um Granny zu kümmern, deren Krankheit rasch fortschreitet. Herausforderung wird zu Überforderung. Doch glücklicherweise gibt es Menschen, die dem ungewöhnlichen Gespann helfen …


Zoe, Grace und der Weg zurück nach Haus

Der kanadische Autor Allan Stratton stellt in seinem Jugendroman „Zoe, Grace und der Weg zurück nach Haus“ – ein etwas sperriger Titel im Vergleich zum englischen Original „The way back home“ – zwei Frauen in den Mittelpunkt, die einander trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes sehr ähneln. Beide sind eigenständig in ihrem Denken, tragen ihr Herz auf der Zunge, diplomatisches Taktieren ist ihnen fremd. Und auch die Sturheit haben sie gemeinsam, mit der sie an ihren Überzeugungen festhalten.
Oma Grace kommen immer mehr Informationsstücke abhanden, an denen sie die Realität festmachen könnte, woraus sich ein Konglomerat aus Vergangenheit und Gegenwart mischt. Und auch Zoe kann viele Dinge nicht so akzeptieren, wie sie sind, vor allem, wenn es um ihre Großmutter geht. Dabei kümmert sie sich um Granny mehr als um sich selbst, nimmt deren Bedürfnisse mehr wahr als ihre eigenen. Der Blick auf sich selbst ist beiden, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen, verstellt.

Die Genauigkeit und Sorgfalt, mit der die Demenzerkrankung geschildert wird, erklärt Allan Stratton in einem Video: Die Blaupause der beiden Figuren Zoe und Grace waren er selbst und seine Mutter, die er bis zu ihrem Tod durch ihre Alzheimererkrankung begleitet hat.
„The Way back home“ ist berührend ohne Pathos, humorvoll ohne Klamauk. Zoes trocken-ironischer Humor und Grannys Wortmeldungen sorgen immer wieder auch für Komik, bei aller Dramatik des Geschehens.

Es gibt in der Kinder- und Jugendliteratur mittlerweile einige Titel zum Thema Demenz, für jedes Lesealter. Mit Zoe fügt Allan Stratton ihnen eine markant-eigenständige Figur hinzu, die man auf ihrem Roadtrip mit gekreuzten Fingern begleitet. Denn diese tapfere und großherzige Hauptdarstellerin hat sich ein Happy End verdient.

Karin Haller