Emmy Abrahamson: Widerspruch zwecklos

Erinnern Sie sich an eine peinliche Situation mit ihrer Mutter?

oder Wie man eine polnische Mutter überlebt
Aus dem Schwedischen von Anu Stohner
München: dtv 2013


Erinnern Sie sich an eine peinliche Situation mit ihrer Mutter? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Auch in Emmy Abrahamson´s Roman-Erstling „Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt“ mangelt es der 16jährigen Ich-Erzählerin Alicja nicht an Momenten, in denen sie am liebsten im Erdboden versinken würde. Wenn etwa ihre Mutter auf die Frage „Ist das deine Tochter?“ antwortet: „Ja, das ist sie. Aber sag nichts über ihre Pickel, da ist sie unglaublich empfindlich.“

Schauplatz des Geschehens ist ein Kaff in Schweden, wir schreiben den Sommer 1989, das Jahr, in dem Papst Johannes Paul II. durch Skandinavien tourt. Alicja wird ihn sehen, und sie wird – ungewollt – das Bäumchen knicken, das zu seinen Ehren gepflanzt wurde. Weil in diesem Sommer einfach alles schief geht. Nicht nur, dass sie sich mit ihrer verhaltensoriginellen Mutter herumzuschlagen hat, jetzt reist auch noch die polnische Verwandtschaft an: eine kettenrauchende Tante mit deren Tochter, die Alicja in den Verdacht bringt, einem Schulkollegen, dem ausgesprochen gut aussehenden Ola Olsson, psychopathisch nachzustellen. Dass sich das Missverständnis aufklärt und die beiden, Ola und Alicja, ein Paar werden, ist dann leider auch nicht unproblematisch, weil Alicjas beste Freundin Natalie auf Ola steht …

Ganz normale Pubertätsnöte werden hier vor dem Hintergrund eines Culture-Clash´s verhandelt, wie die Autorin ihn aus eigener Erfahrung kennt. Emmy Abrahamson hat, wie ihre Hauptfigur, einen schwedischen Vater und eine polnische Mutter, und die Klischees, mit denen sie lustvoll-hemmungslos spielt, sind ihr vertraut. Am laufenden Band passieren in diesem Buch mehr oder weniger skurrile Situationen, die größtenteils aus der speziellen Weltsicht einer polnischen Mutter resultieren. Am besten überlebt man, indem man sich Strategien zurecht legt, und das tut Alicja. Als survival guide sind kurze Paragrafen in den Text eingestreut wie zum Beispiel: „Akzepteren, dass alles, was gekocht werden kann, gekocht werden muss – und zwar so lange wie möglich.“

Der Text lässt einen immer wieder lachen oder zumindest schmunzeln. Dabei wird nicht immer mit feiner Klinge gescherzt, da wird auch zugespitzt oder übertrieben,aber amüsant ist er – wobei Humor natürlich subjektiv ist – allemal: Mutters Lösung für die drohende Gefahr, angezeigt zu werden, weil sie illegale Handwerker beschäftigt:

Sie bringt den beiden Polen einen einzigen schwedischen Satz bei, den sie jedes Mal sagen müssen, wenn jemand vorbeikommt: „Das kann teuer werden.“ Und als sie für die Hochzeit von Tante Sylwia kistenweise geschmuggelten Wodka kaufen, macht Alicjas Mutter klar, dass es dazu keine Alternative gibt: „Keine polnische Hochzeit ohne Wodka, und ihn hier zu kaufen wäre viel zu teuer. Halina hat von einer Hochzeit erzählt, bei der der Wodka ausgegangen ist. Die Eltern der Braut können sich bis heute nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen.“ Ja, es sind Klischees. Und ja, sie sind sehr komisch erzählt.

Cover
Dieser Mutter ist nichts peinlich, es gibt keine Tabus – und dabei beweist sie ein unnachahmliches Geschick in der Bewältigung jeder Situation, sei sie auch noch so herausfordernd. Mit derselben Phantasie, mit der sie als Polizeidolmetscherin die Aussagen ihrer polnischen Landsleute übersetzt, findet sie überall einen Ausweg. Und sie ist dann auch diejenige, die am Ende dafür sorgt, dass doch noch alles gut wird mit Alicja und Ola und Natalie. Denn diese Mutter ist der Fels, auf den sich das Mädchen bedingungslos verlassen kann: „Sie hält mich weiter fest, während ich hemmungslos in ihr schönes Kleid weine. Es riecht nach Wärme, Sicherheit und ein kleines bisschen nach verbranntem Essen.“

Abrahamson bezeichnet das Buch als Liebeserklärung an ihre eigene Mutter – die nach der Lektüre drei Monate nicht mehr mit ihrer schreibenden Tochter gesprochen hat. Wobei die liebevolle Schonungslosigkeit, mit der die Autorin mit der literarischen Mutterfigur umgeht, auch vor der Protagonistin nicht halt macht: das hohe Maß an Selbstironie erinnert in Teilen an Radek Knapps „Herrn Kukas Empfehlungen“, ebenfalls ein äußerst lesenswertes Buch zum Thema „Polen anderswo“.

„Widerspruch zwecklos“ bietet Unterhaltung für jedes Alter – sich punktuell für seine Eltern, egal welcher Nationalität, ein wenig zu genieren, ist ja auch nicht zwingend auf die Pubertät beschränkt. Der Verlag bewirbt das Buch übrigens auf Facebook mit einem Schreibwettbewerb: „Erzähl uns dein peinlichstes Erlebnis mit deiner Mutter.“ Da hätten wir wahrscheinlich alle etwas einzuschicken ….

Karin Haller