Elisabeth Rapp: Wenn er mich findet, bin ich tot

„Wenn er mich findet, bin ich tot.“ Mit diesem Titel lässt die Berliner Autorin Elisabeth Rapp keinen Zweifel, welchem Genre ihr jugendliterarischer Debutroman zuzuordnen ist.

München: dtv 2013


„Wenn er mich findet, bin ich tot.“ Mit diesem Titel lässt die Berliner Autorin Elisabeth Rapp keinen Zweifel, welchem Genre ihr jugendliterarischer Debutroman zuzuordnen ist. Sicherheitshalber hat es der Verlag auch noch aufs Cover gedruckt. Ein Thriller also. Und es wird nicht zu viel versprochen.

Denn das Buch ist spannend, richtig spannend. Vom Plot kann nicht viel verraten werden, einen Thriller darf man nicht spoilern. Nur so viel: Eine Gruppe straffällig gewordener Jugendlicher, allesamt aus katastrophalen familiären Verhältnissen und mit einer Kindheit, die einem Schauer über den Rücken jagt, wird aus der Bundesrepublik an den finnischen Polarkreis geflogen. Dort sollen sie im Zuge einer erlebnispädagogischen Maßnahme eine Jugendherberge aus Eis bauen. Tilly, die vierzehnjährige Ich-Erzählerin, ist eine von ihnen. Psychiatrie oder das Camp in Ivalo – das waren die Alternativen. Sogar in dieser Gruppe von Außenseitern ist sie die Außenseiterin, bescheinigterweise paranoid, von Panikattacken gequält, verschlossen bis zur Kommunikationsverweigerung. Etwas näher kommt sie nur dem einheimischen Bauleiter Riski, der Tilly bei ihren manischen Lauf- und Skilaufrunden begleitet und fördert. Als sie nach einiger Zeit auch mit ihrer Bettnachbarin Sandra ins Gespräch kommt, kann daraus keine Freundschaft werden. Denn Sandra, mit derselben Frisur wie Tilly und in deren Kleidung unterwegs, wird erschossen. Wollte der Mörder eigentlich Tilly töten? Und wenn ja, warum? Ist sie gar nicht paranoid, sondern wird wirklich seit ihrer frühen Kindheit verfolgt?

Zur Beantwortung dieser Fragen wechselt der Schauplatz zurück nach Deutschland, wo Tilly gemeinsam mit Kolja und Paolo, zwei Jungen aus dem Camp, bei ihrem Sozialarbeiter Beck einzieht. Die drei müssen tief in Tillys Vergangenheit graben, um die Wahrheit ans Licht zu bringen ….

Gute Krimis leben neben der Rhythmik des Spannungsbogens von der Glaubwürdigkeit, der Prägnanz oder auch dem Witz ihres Ermittlungspersonals. Und genau das ist auch hier der Fall: Die vom Drehbuch her kommende Autorin weiß, wie man besagten „thrill“ aufbaut, mit sicher platzierten Spannungshöhepunkten und flüssigem Tempowechsel. Die Figur der Ich-Erzählerin ist mit bruchloser Dichte gezeichnet, ein scharf konturierter Charakter, der mit einem Übermaß an Sensibilität, knochentrockenem Humor und schneller Reaktionsfähigkeit ausgestattet ist.

Lesend spürt man Tillys vielschichtige Emotionen, ihre Einsamkeit, Angst und Verzweiflung, erzähltechnisch geschickt untermauert von Auszügen aus ihren Panikbüchern, in denen sie ihre Alpträume festhält. Man spürt ihre Wut und Willenskraft wie ihre Überforderung, auf die sie mit schützender Verdrängung reagiert. Und man nimmt ihr das alles ab.

Cover
Erfreulicherweise mixt Elisabeth Rapp dazu eine nicht unbeträchtliche Menge Humor, der vor allem auch in den Dialogen zwischen den Jugendlichen und in der Beschreibung ihres Zusammenlebens zum Tragen kommt. Die Gespräche sind so witzig – da verzeiht man es gerne, dass diese jungen Menschen über eine Differenziertheit im Ausdruck verfügen, die angesichts ihrer Biographien und Hintergründe doch eher überrascht.

Tilly, Kolja und Paolo, zu dem sie sich nicht nur freundschaftlich hingezogen fühlt, sind in jeder Hinsicht eine bemerkenswerte Truppe. Teils zur Tarnung, teils aus dem ehrlichen Wunsch nach einer besseren Zukunft heraus absolvieren sie einen Kurs zum externen Realschulabschluss. Den sie mit Bravour bestehen, weil sie die Prüfungsfragen vorher aus dem Rathaus klauen. Vor Kolja ist kein Schloss sicher, versperrte Türen sind in wenigen Sekunden offen.

Diese Jugendlichen sind keine Chorknaben bzw. -mädchen und sie werden es auch nicht. Aber sie sind definitiv nicht die Bösen, die Asozialen, sondern ausgesprochen sympathische, starke Charaktere, denen man einfach nur wünscht, das Grauen ihrer Ursprungsfamilien überwinden zu können. Sie sind Opfer, aber nicht wehrlos. Und das stellen sie dreihundertachtzig ausgesprochen kurzweilige Seiten lang unter Beweis.

Karin Haller