Tamara Bach: Vierzehn

Ein Tag. Nur zwei, drei Handvoll Stunden vom Aufwachen bis zum Schlafengehen. Das klingt nach wenig, und ist doch so viel, wie Tamara Bach auf beeindruckende Weise in ihrem neuen Jugendroman „Vierzehn“ zeigt.

Hamburg: Carlsen 2016


Ein Tag. Nur zwei, drei Handvoll Stunden vom Aufwachen bis zum Schlafengehen. Das klingt nach wenig, und ist doch so viel, wie Tamara Bach auf beeindruckende Weise in ihrem neuen Jugendroman „Vierzehn“ zeigt.
Es ist kein gewöhnlicher Tag für Beatrice, die von allen nur Beh genannt wird, in mehrfacher Hinsicht nicht: Der erste Schultag nach den Sommerferien, nun in der neunten Klasse. Die anderen hat sie seit Monaten nicht mehr gesehen, weil sie noch vor Schulschluss schwer erkrankt ist. Es ist der Tag, an dem sie zum ersten Mal ihren Vater in seiner neuen Wohnung besucht, nachdem er von zuhause ausgezogen ist. Entdeckt, dass er seit langem eine Affäre mit einer jungen Bürokollegin hat, ein Kind mit ihr bekommt. Es ist auch der Tag, an dem sich ihre ehemals beste Freundin als dummschwätzerische Tusse entpuppt. Und derjenige, an dem sie Anton wiedersieht, zum ersten Mal, nachdem sie von ihm geküsst wurde.
Vierzehn Stunden, in denen Abschiede und Neuanfänge aufeinanderprallen, sich abwechseln, ineinander übergehen. Nach den langen Sommermonaten, in denen Beh mit sich allein war, zeigt sich vieles in einem anderen, klareren Licht. Die von egozentrischer Oberflächlichkeit geprägte Beziehung zur ehemals „besten Freundin“, in der Ehrlichkeit genauso wenig Platz hat wie ehrliches Interesse aneinander, mit der sie überhaupt nichts mehr verbindet: Vergangenheit. Das Verhältnis zu ihrem Vater, sprachlos, entfremdet, verlogen - auch etwas, woran sie nicht festhalten wird. Das Gefühl von Alleinsein neben ihrer hilflos überforderten Mutter – es wird nicht so bald verschwinden. Doch neben all der Fremdheit und Entfernung gibt es auch die zukünftige Möglichkeit auf neue, wünschenswerterweise tiefergehenden Beziehungen. Zur neuen Mitschülerin Maxima, die ähnlich begabt ist wie die hochintelligente Beh. Zu Anton, der genau das richtige Tempo einschlägt, die richtigen Worte findet, die richtigen Dinge tut. Ihr eine Postkarte schreibt, mit ihrem richtigen Namen drauf. Beatrice. Nicht Beh.

„Vierzehn“ ist von der ersten bis zur letzten Zeile durchdacht, durchkomponiert, eine formale Glanzleistung Die äußere Struktur bilden, wie es sich für einen Tag gehört, 24 Kapitel, die streng chronologisch ablaufen. In den Überschriften tragen sie die jeweiligen Schauplätze - Bus, Schulhof, Krankenzimmer, WC, Schwimmbad, Kiosk - oder spiegeln den Ablauf des Schultages wieder, die von Pausen unterbrochenen Unterrichtsfächer, Mathe, Englisch, Kunst, Ethik. Und dann gibt es die Überschriften „Mama“, „Papa“, und es gibt „Hund“ und „Suppe“. Kleine Dinge können auf ganz große verweisen.
Wie eine Kamera begleitet die erzählende Stimme das junge Mädchen, das agierende „du“ dieses Textes, bleibt ganz eng dran an ihr und fängt so die Tiefe und Breite dieses Tages ein. Das gelingt in hoher Intensität, indem Bach auf nur gut hundert Seiten gekonnt verdichtet. Die Fokussierung auf das Wesentliche bedeutet in diesem Fall, dass Detailbeobachtungen das pointilistische Bild malen: Alltagshandlungen, belanglos scheinende Dialogsätze, minimale Gesten, Gedankensplitter. Keine inneren Monologe, keine Innenschau durch Selbstreflexion. Und dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen wird das Fühlen und Denken dieser Vierzehnjährigen sehr glaubhaft, nachvollziehbar, nachspürbar:
„Jetzt steht ihr da zu dritt. Hannah schaut dich an. Du ziehst dein Handy aus der Tasche. Wischst irgendwo rum. Tippst irgendwo rum. Öffnest Apps und schließt sie wieder. Schaust auf die Uhr. Und hoch. Sagst, dass du aufs Klo musst. Gehst aufs Klo und wäschst dir die Hände.“ Deutlicher kann nicht davon erzählt werden, wie man sich nichts mehr zu sagen hat.

Cover
Dabei entzieht sich der Text so manch klassischer erzähltheoretischer Vorgabe – klar definierte Spannungshöhepunkte, die vorbereitet und abgebaut werden, sind hier nicht zu finden. Das Buch weist in seiner Unaufgeregtheit, die diesen Tag so erzählt, als ob er ganz normal wäre, eine durchgehende, anhaltende Spannung auf – nicht zuletzt, indem es dem Lesenden entscheidende Informationen klug vorenthält und Fragen erst nach und nach, oft spät, beantwortet. Weswegen hatte Beh monatelang keinen Kontakt zu den anderen? Was ist mit ihrem Vater los? Wer hat sie geküsst? Von wem sind die sms Nachrichten?

Die Berliner Autorin, die heuer ihren vierzigsten Geburtstag feierte, prolongiert mit ihrem fünften Buch die Reihe von Maßstäbe setzenden Jugendromanen, die vor zwölf Jahren mit ihrem preisgekrönten Erstling „Marsmädchen“ begann. Tamara Bach ist keine, die jedes Jahr ein neues Buch auf den Markt wirft, und das verwundert nicht. Auch an „Vierzehn“ muss sie lange, gründlich gefeilt, die Sätze hundertmal gedreht und gewendet haben, bis sie passten. In seiner äußeren Erscheinung wirkt das Buch schmal. Und hat doch ein großes Gewicht.

Karin Haller