Sascha Mamczak & Martina Vogl: Überall Leben

Vom erstaunlichen Miteinander der Arten auf unserem Planeten

Vom erstaunlichen Miteinander der Arten auf unserem Planeten. Ill.: Katrin Stangl. Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2023. 280 S., € 24,70. ISBN-13 978-3-7795-0717-8

„Überall ist Wunderland / Überall ist Leben. / Bei meiner Tante im Strumpfenband / Wie irgendwo daneben.“ Dieses Gedicht von Joachim Ringelnatz, hier nur mit der ersten Strophe zitiert, haben Sascha Mamczak und Martina Vogl ihrem neuen Jugendsachbuch „Überall Leben. Vom erstaunlichen Miteinander der Arten auf unserem Planeten“ vorangestellt und damit vorgegeben, wie sie sich ihrem Thema nähern: Sie erzählen eine Geschichte. „Eine Geschichte darüber, wie wir Menschen die anderen Lebewesen wahrnehmen - oder eben nicht wahrnehmen. Eine Geschichte über das, was wir Menschen verlieren, wenn wir nur mit uns selbst beschäftigt sind. Eine Geschichte über den wahren Reichtum der Welt, in der wir leben.“

Nicht eine einzelne oder einzige Erzählung begegnet uns auf 280 prallvollen Seiten, sondern viele verschiedene, und jede birgt wieder viele andere Erzählungen in sich. Der Gespenstblattschwanzgecko berichtet von der Artenvielfalt auf Madagaskar, Darwins Evolutionstheorie, dem Artensterben, der Bedeutung der Biodiversität. Davon, dass ein Ökosystem, also auch der Lebensraum des Menschen, langfristig nur bestehen bleibt, wenn es eine hohe Biodiversität aufweist. „Je biodiverser das Leben in der Gegenwart ist, desto größer die Chance, dass es auch in der Zukunft Leben geben wird.“

 

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In einem anderen Kapitel spricht beispielsweise die von den meisten Menschen ungeliebte Stadttaube zu uns, was unter anderem zum Thema Anthropomorphismus, also der Vermenschlichung von Tieren, führt. Darmbakterien demonstrieren, wie alles Leben auf unserem Planeten miteinander verwandt ist und wie sich die Arten nicht nur entwickelt, sondern auch miteinander vernetzt haben. Im Kapitel des Küstenmammutbaums beschäftigt sich unter anderem eine alte japanische Erzählung mit dem Unterschied zwischen Nutzen und Wert: Ein Baum ist nicht nur mit dem Preis für sein Holz zu berechnen, sondern leistet noch viel mehr, er sammelt Grundwasser und schützt den Boden vor Erosion, er setzt Sauerstoff frei, den wir zum Atmen benötigen, speichert Kohlendioxid und ist so für die Stabilität unseres Klimas unverzichtbar, er ist Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Wie soll man all das in Geld umrechnen? Bäume haben nicht nur einen Nutzen, sie haben auch einen Wert.

Viele, sehr viele Themen, Informationen und Inspirationen birgt „Überall Leben“. Sascha Mamczak ist Sozialwissenschaftler, der politische Wissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Öffentliches Recht studiert hat, Martina Vogl ist Literatur-, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin. Das Duo arbeitet zum dritten Mal zusammen, „Es ist dein Planet - Ideen gegen den Irrsinn" und das für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierte „Eine neue Welt. Die Natur, die Menschen und die Zukunft unseres Planeten“ sind die viel beachteten Vorgänger von „Überall Leben“. Das wieder eine kongeniale Zusammenarbeit präsentiert, in dem sich naturwissenschaftliche, philosophische und politische Aspekte in verschiedenen differenzierten Zugängen miteinander verbinden. Die jeweiligen erzählerischen Ausgangspunkte verästeln und verzweigen sich, um dann wieder zurückzufinden, die Bandbreite ist enorm und dabei immer schlüssig, weil alles ganz selbstverständlich ineinander greift.

Das Buch ist – von den einleitenden Bildern Katrin Stangls zu den siebzehn Kapiteln abgesehen – nicht illustriert. Ungewöhnlich für ein Sachbuch, das üblicherweise mit einer Reihe von Fotografien oder Bildern ausgestattet wird, und doch sehr passend. Illustrationen müssten allein aus Platzgründen einzelne Aspekte der vielgestaltigen und vielfältigen Texte aufgreifen und damit eine Gewichtung schaffen, die dem Grundgedanken des Buches des gleichberechtigten Miteinanders widersprechen würde: Alles ist miteinander verbunden, nichts ist wichtiger oder bedeutsamer als das andere. „Alles Leben hat einen Wert, einfach weil es existiert, nicht weil es einen bestimmten Zweck erfüllt.“ Der Auffassung, dass der Homo sapiens auf der obersten Stufe aller Lebewesen stünde, wird begründet widersprochen, der These, Fortschritt sei nur durch auf Ausbeutung des Planeten basierendes Wachstum möglich, ökologisches Wissen entgegen gesetzt.

Und zwar so, dass es auch für junge Leserinnen und Leser gut verständlich und nachvollziehbar ist. „Überall Leben“ bezieht Stellung und beruht dabei auf profunder Kenntnis. Darüber, wie eng unser Leben als Menschen mit dem anderer Organismen verknüpft ist, wie sehr diese Vernetzung unser aller Überleben bedingt. Und nach der Lektüre hat man tatsächlich einen geschärften Blick darauf, dass überall Wunderland ist, überall Leben.

Karin Haller