Wolfgang Herrndorf: Tschick

„Lada auf großer Fahrt“, „Landpartie mit Lada“, Lektionen fürs Leben in der Pampa“ titelte das Feuilleton: Wolfgang Herrndorfs neuer Roman „tschik“ inspiriert sichtlich auch seine Rezensenten. Selten macht Lektüre so großen Spaß, und wie so oft bei gutem Humor ist es auch einer, dem etwas Tragisches anhaftet, etwas Schräges, nicht Alltägliches.

Berlin: Rowohlt 2010


„Lada auf großer Fahrt“, „Landpartie mit Lada“, Lektionen fürs Leben in der Pampa“ titelte das Feuilleton: Wolfgang Herrndorfs neuer Roman „Tschick“ inspiriert sichtlich auch seine Rezensenten. Selten macht Lektüre so großen Spaß, und wie so oft bei gutem Humor ist es auch einer, dem etwas Tragisches anhaftet, etwas Schräges, nicht Alltägliches.

Denn aus ihrem Alltag brechen sie ja aus, die beiden jugendlichen Helden: Mit einem geklauten Auto, eben einem schrottreifen Lada, machen sich Maik und sein Mitschüler Andrej Tschichatschow vulgo Tschick auf eine Reise quer durch Ostdeutschland, mit dem Ziel Walachei. Dort werden sie nie ankommen, das weiß man als Leser von Anfang an. Schließlich beginnt das Buch damit, dass Maik auf einer Polizeistation sitzt und sich bei der Information, mit vierzehn schon strafmündig zu sein, in die Hosen pisst.

Retrospektiv erzählt Maik von dieser außergewöhnlichen Fahrt, auf der sie einer Reihe skurriler Menschen und Situationen begegnen. Sie landen auf einer Mülldeponie, wo ein erstaunliches junges Mädchen mit strengem Geruch und großem Herz zu finden ist, sie bauen einen Unfall, bei dem ihnen eine stark übergewichtige Sprachtherapeutin hilft, trinken Fanta mit einem ehemaligen Soldaten, der sich in einem verlassenen Dorf verbarrikadiert hat und erst mal auf sie schießt, bevor er ihnen seine Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt. So exzentrisch alle diese Figuren sein mögen - zum Erstaunen des Ich-Erzählers haben sie alle auch etwas Freundliches und Liebenswertes an sich. Denn das ist eine der expliziten Lektionen der auf eine Woche verkürzten Lehr- und Wanderjahre: Nicht alle Menschen sind schlecht. Maik lernt aber auch noch einiges andere: Dass er kein Langweiler ist. Dass es nicht nur die schöne Tatjana gibt, die seine Liebe nicht einmal wahrnimmt. Dass Freundschaft auch dort entstehen kann, wo er sie nicht vermutet.

Denn die zwei Jungs sind zwar beide Außenseiter, aber aus ganz anderen Gründen. Maik, aus stinkreichem Elternhaus, ist so angepasst, dass er praktisch nicht mehr gesehen wird, Tschick dagegen fällt auf wie ein bunter Hund, ein asozialer Russlanddeutscher aus halbkriminellen Verhältnissen, hochbegabt und jeden zweiten Tag besoffen.

Cover
Gekonnt spielt der Autor mit seinen Motiven – mit Tschicks russenmafiösem Hintergrund, mit Maiks alkoholkranker Mutter, die mal wieder auf Entzug ist. Keiner von beiden leidet unter seiner Familie, sowohl für Tschick als auch für Maik ist das einfach ihre jeweilige Normalität. Und kein Problem.

Problem ist viel mehr, dass Tatjana sie nicht zur ihrer Geburtstagsparty einlädt - ein Umstand, der den frustrierten Maik kausal auf Tschicks Beifahrersitz katapultiert. Herrndorf nimmt sich viel Zeit für die Expositur der abenteuerlichen Fahrt, das erste Drittel des Buches erzählt von Maiks Leben, bevor er in den Lada einsteigt.
„Tschick“ ist ungeheuer komisch, ohne sich mit billigen Witzen zu begnügen, nachdenklich, ohne in tiefgründiger Schwere zu versanden. Diese Qualität ist vor allem der Sprache geschuldet, punktgenau und glaubhaft. Es ist ein Glück, dass der Autor seinen Ich-Erzähler so reden lassen kann, dass man ihm den Jugendlichen abnimmt, ohne sich mit bemühtem Jugendslang anzubiedern.

Es zeichnet den Roman aus, dass er gewissermaßen zweispurig fährt: Auf der einen Seite brettert er mit viel Situationskomik, hinreißenden Dialogen und vielschichtigem Witz auf der Überholspur dahin, auf der anderen lässt er die beiden Protagonisten mit existentiellen Gefühlen und Fragen auf dem Pannenstreifen dahin rollen. Zwischen diesen Polen entwickelt sich Spannung, zusätzlich zu der, die durch den Plot ohnehin schon gegeben ist – schließlich begleiten wir zwei Minderjährige in einem gestohlenen Auto, immer in Gefahr, entdeckt zu werden, immer irgendwie auch auf der Flucht.

Auf der aber auch Zeit ist, anzuhalten, sich auf den Rücken zu legen und in die Sterne zu schauen: „Das ist Wahnsinn“, sagte Tschick. „Ja, sagte ich“, das ist Wahnsinn“. „Das ist noch viel besser als Fernsehen. Obwohl Fernsehen auch gut ist.“ Und am besten ist das Lesen dieses Buches.

Karin Haller