Mats Wahl: Soap oder Leben

„Vielleicht ist man mittendrin in der größten Soap der Welt, obwohl man es nicht weiß."

Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch
Zürich: Nagel&Kimche 2004


„Soap oder Leben“: Was der Titel von Mats Wahls neuestem Jugendroman als Alternativen einander gegenüberstellt, erklärt das Buch selbst zu Synonymen: das Leben ist eine Soap. Zumindest für den 15jährigen Jalle, Sohn eines führenden Kleinstadt-Gemeindepolitikers und passionierter Filmfreak. Was er im Laufe der rund 390 Seiten, die der Text zu bieten hat, erlebt, passt eher in eine TV-Serie als in das reale Leben eines schwedischen Durchschnitts-jugendlichen:

Beim Projekt, gemeinsam mit seinem besten Freund Kino einen Kurzfilm mit dem Titel „Dead Dog“ zu drehen, wird der geliehene Terrier dummerweise tatsächlich vom Laster überfahren; der Versuch, das Missgeschick als Kidnapping zu tarnen, scheitert. Als die beiden die durchgeknallte Geburtstagsfeier eines steinreichen adeligen Mitschülers filmen sollen, endet der Auftrag damit, dass der älterste Sohn des Hauses Jalle vergewaltigen will. Beim Ausflug nach Stockholm wird er von zwei farbigen Typen überfallen und von zwei Nazis gerettet. Die neue Mitschülerin Jytte, in die er sich aus dem Stand bis über beide Ohren verliebt, ist ausgerechnet die Tochter der Journalistin, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Veruntreuungen von Jalles Vater aufzublättern. Was Jalle in einen Gewissenskonflikt bringt. Noch dazu, wo Jyttes Mutter Erfolg hat: Papa Hall gesteht unter dem medialen Druck, geht ins Gefängnis; Jalles Schwester Lus – angehende Soapdarstellerin – zieht nach Stockholm, „heile Familie“ war mal. Doch die Liebe siegt auch unter schwierigen Umständen - Jalle und Jytte bleiben trotz allem zusammen. Happy End.

Mats Wahl, der nächstes Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, schreibt seit 1980 Jugendromane, v.a. Krimis, aber auch Theaterstücke und Drehbücher für Film und Fernsehen. Auf diesen Zusammenhang greift der Autor zurück: „Soap oder Leben“ ist die sich selbst permanent ironisierende Verschriftlichung eines TV-Genres. Nicht nur die Personenkonstellationen und die aberwitzigen Handlungselemente könnten gut an die Macher von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ verkauft werden, der Text arbeitet auch stilistisch mit filmischen Mitteln: exakt gesetzte Schnitte, längere Szenenführungen – also Passagen, wo die Kamera gleichsam draufbleibt, sich an Details heranzoomt, close ups liefert, und dann wieder in eine andere Perspektive wechselt.

Weite Strecken des Textes werden von Dialogen bestimmt, meistens zwischen Jalle und Kino, genial in ihrer verknappten Kürze und ihrem Tempo. Wie sie sich die Sätze und Satzfetzen um die Ohren schlagen, übergangslos von einem Thema zu einem ganz anderen wechseln, sich in Codes aus englischen Filmzitaten verständigen – das hat einen Witz und stilistischen Biss, der sozusagen die hohe Schule jugendliterarischer Dialoggestaltung darstellt.

Besonders faszinierend an dem Roman ist der Kunstgriff, eine sehr glaubwürdige Soap zu schreiben, diese sich selbst aufs Korn nehmen zu lassen, und diese Ironisierung wiederum im Text zu reflektieren. „Im Film würde uns die Story niemand abnehmen.“ Wahl´s bissiger Humor zieht sich durch das ganze Buch und nützt so ziemlich jede Gelegenheit für gezielte Seitenhiebe:

Cover
„In diesem Club ist jeder Scheißfilm aus Rumänien ein Meisterwerk, jede verkratzte Rolle aus der verblichenen Sowjetunion ein Kulturschatz. Aber spricht man das Wort „amerikanisch“ aus, sagt das laut zweimal hintereinander, dann wird man wie einer betrachtet, der gerade in der Kirche einen hat fahren lassen.“ Alle bekommen ihr Fett weg: Kino und Film, Regisseure und freakige Cineasten wie die beiden Hauptdarsteller, eklige Adelige, Kultusministerinnen, Politiker im allgemeinen, in diesem Fall sozialdemokratische, die ihre Privatrechnungen mit der Kreditkarte der Gemeinde bezahlen. Im Klappentext heißt es: „Mit Tempo und Witz erzählt Mats Wahl, wie die beiden Freunde gerade noch rechtzeitig die Grenze zwischen den Soaps und dem richtigen Leben erkennen: Im Zweifelsfall wird es im Leben und der Liebe bitterernst.“ Ganz abgesehen davon, dass es in diesem Buch zwar für die Protagonisten, aber nie für den Leser bitterernst wird – die Frage, ob es tatsächlich eine derartige Grenze gibt, bleibt ungeklärt: „Vielleicht ist man mittendrin in der größten Soap der Welt, obwohl man es nicht weiß. Irgendein gemeiner Typ hat einem eine blöde Rolle gegeben. Morgen wirst du an Krebs sterben. Aber erst musst du dir die Lungen raushusten.“

Karin Haller