
Alina Bronsky: Schallplattensommer
Eine schwierige Liebesgeschichte, eine unbeugsame Helödin und ein Plot voller Finten.
Im Rampenlicht zu stehen ist nur angenehm, wenn man es sich selbst ausgesucht hat – und vermutlich auch dann nicht immer. Die 16-jährige Protagonistin in Alina Bronskys neuem Jugendroman „Schallplattensommer“– Achtung, Spoileralarm – hat es sich nicht ausgesucht, dass ihre Kindheit durch die Boulevardpresse ging.
Sie ist die Tochter einer Frau, die zuerst als It-Girl und dann, als sie ihre kleinen Kinder eine Woche lang allein in der Wohnung fast verhungern ließ, als Horrormutter zu zweifelhafter Berühmtheit kam. Der Junge kommt zu Pflegeeltern, das Mädchen selbst flüchtet mit ihrer Großmutter in die ländliche Abgeschiedenheit, wo es alles tut, um unsichtbar zu sein. Was nicht einfach ist, ist doch alles an ihr auffallend: ihr ungewöhnliches und dabei sehr anziehendes Aussehen, ihre schweigsame Kantigkeit, ihr Name: Maserati. Ganz abgesehen davon, dass sie das einzige Mädchen ihres Alters im Umkreis von siebzehn Kilometern ist.
Nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart ist eine einzige Herausforderung. Die Großmutter, mit der sie das kleine Gasthaus führt, ist dement, und es ist Maserati, die den Laden rund um die Uhr schmeißt und gleichzeitig aufpasst, dass Oma nichts passiert – und dass sie sich nicht an Maseratis Mutter erinnert. Das kämpferische Bemühen, ihre Großmutter vor der Realität und sich selbst vor der Welt abzuschirmen, hat seinen Preis: „Ich bin seltsam, okay? Ein seltsames Mädchen in der Einöde, das nach Frittierfett stinkt und niemals die Schule abschließen wird.“ Hocherhobenen Hauptes wirft sie ihrem Gegenüber diese trotzige Eigendefinition entgegen. Denn obwohl ihre Situation so schwierig ist, will sie keinesfalls als Opfer wirken – ihren Stolz und ihre Würde zu wahren, ist ihr wichtiger als alles andere.

Ihr Leben scheint in diametralem Gegensatz zu dem von Theo und Caspar zu stehen, den beiden jungen Männern, die mit ihrer steinreichen Familie in die Villa in der Nachbarschaft gezogen sind. Der eine, Caspar mit dem Lächeln wie ein Scheinwerfer, sieht aus, als ob er gerade vom Surfbrett gestiegen wäre, sein Cousin Theo wirkt eher wie „eine traurige Mischung aus Dracula und Professor Snape“. Dass auch in ihrer Vergangenheit traumatische Ereignisse liegen, entdeckt Maserati erst nach und nach, während sich zwischen den Jugendlichen eine Dreiecksbeziehung voller Wirrungen und Wendungen entwickelt.
In der natürlich auch die Liebe Thema ist, obwohl sich Maserati mit Händen und Füßen dagegen wehrt.
Alina Bronsky baut die Spannung des Romans auf, indem sie lange im Dunkeln lässt, was geschehen ist, die Protagonistin weiß grundsätzlich mehr als der bzw. die Lesende. Wieso hat Maserati kein Smartphone und keinen Computer? Wovor versteckt sie sich? Warum ist Theo so depressiv? Weshalb hat Caspar Maserati gegenüber ein derartig schlechtes Gewissen? Sogar wenn uns die Geschichte problemlos Informationen geben könnte, etwa aus Theos Vergangenheit, weil Maserati sie von dessen Mutter erfährt, tut sie es nicht. Der Text bricht an dieser Stelle einfach ab und steigt zu einem späteren Zeitpunkt wieder ein. Nur häppchenweise baut die Autorin Andeutungen und Details ein, bis sich das Bild vervollständigt.
Das betrifft im Übrigen nicht nur die Handlung, sondern auch die Charaktere, allen voran natürlich die Figur der Maserati, deren Emotionen gänzlich unsentimental, meistens trocken, manchmal bei allem Ernst auch humorvoll vermittelt werden.
„Schallplattensommer“ ist ein Jugendroman par excellence: Eine mit zahlreichen Herausforderungen konfrontierte Protagonistin auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, unaufdringlich integrierte Themen, über die man nachdenken und diskutieren kann wie Demenz oder Medienberichterstattung in der Boulevardpresse, und als Rahmen eine nicht geradlinige, schwierige Liebesgeschichte. Alina Bronsky weiß, was sie tut - und sie kann es. Was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass man beim Lesen trotz aller erzählerischer Finten und Konstruktionen die emotionale Nähe zu Maserati niemals verliert. Und dem Mädchen am Ende von Herzen wünscht, dass sie zwar so stolz und unbeugsam bleibt, wie sie ist – aber vielleicht doch ein bisschen weniger Panzer braucht, um durchs Leben zu kommen.