Michael Sieben: Ponderosa

„Ponderosa“. Den Titel des Jugendromans von Michael Sieben muss man 1960er-Jahrgängen nicht erklären. Da taucht vor dem geistigen Auge Little Joe mit seinem gescheckten Pony am Horizont auf, neben ihm die anderen Cartwright-Brüder, und die Titelmelodie hat so mancher bis zum Lebensende im Ohr.

Hamburg: Carlsen 2016


„Ponderosa“. Den Titel des Jugendromans von Michael Sieben muss man 1960er Jahrgängen nicht erklären. Da taucht vor dem geistigen Auge Little Joe mit seinem gescheckten Pony am Horizont auf, neben ihm die anderen Cartwright-Brüder, und die Titelmelodie hat so mancher bis zum Lebensende im Ohr. Anders Ich-Erzähler Kris mit seinen 15 Jahren, der muss erst mal googlen, „was bitte schön eine Bonanza sein soll“, als Josie die heruntergekommene Hütte am Siedlungsrand „Ponderosa“ tauft. „Eine Westernserie, aus den Sechzigern? Ernsthaft?“ Aber Kris tut sowieso immer das, was Josie möchte, erst recht, wenn sie mit Erinnerungen an ihren toten Vater kommt.
Winzig ist sie, die Ponderosa, nur ein Raum und zwei Fenster mit zerbrochenen Scheiben, notdürftig zugeklebt, das Dach bröckelt, rundherum rostet Müll vor sich hin. Und doch ist sie für die drei Jugendlichen mehr Zuhause, als es die elterlichen Wohnungen je sein könnten, dort hängen sie rum und reden und schauen in die Luft und sind das, was man beste Freunde nennt. „Letztes Jahr hat sich jeder von uns mit Kugelschreiber drei Punkte auf die Hand gemalt, auf das Stück Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war unser Kennzeichen, drei Punkte, Juri, Josie und ich. Bermuda-Dreieck nennt man das, hat Juri gesagt.“ Unglücklicherweise tendieren Bermuda-Dreiecke dazu, instabil und gefährlich zu sein.

Dass etwas passiert, weiß der Leser von Anfang an, ist doch das erste Kapitel einer Szene gewidmet, die unmittelbar nach einem schlimmen Unfall an der Autobahn spielt. Kris sitzt im Streifenwagen, blutverschmiert, und es muss Juri sein, der verunglückt ist, denn Josie steht kreidebleich auf der anderen Straßenseite. Eine Pistole liegt übrigens auch irgendwo rum. Und dann springt der Text in der Chronologie drei Wochen zurück, zu einem warmen Apriltag, an dem die Welt noch in Ordnung war, und es wird 200 Seiten dauern, bis der Cliffhanger aufgelöst wird.
Schon das erste Bild, mit dem die Figuren eingeführt werden, illustriert die Beziehungs-konstellationen in dieser Triade: Josie, das Mädchen, liegt entspannt zwischen den beiden Jungs. Juri übernimmt im Dialog mit ihr das Reden, Kris denkt an sie und über sie nach und schweigt. So ausdauernd, dass Juri ihn irgendwann anrempelt: „Hey, pennst du?“
Das ließe sich im übertragenen Sinn fast mit „ja“ beantworten, denn der Ich-Erzähler verschläft so einiges. Je weiter der Text fortschreitet, desto stärker verdichten sich die Indizien darauf, was Kris nicht um die Burg sehen will. Ist er doch ohne Wenn und Aber in Josie verliebt, nimmt jedes noch so kleine Zeichen der Zuneigung als Fingerzeig, dass da doch noch mehr werden könnte aus ihrer Freundschaft.
Dass er sich immer weiter von seinem besten Freund Juri entfernt, es immer öfter Streit und Schweigen gibt zwischen den beiden, bringt er überhaupt nicht mit Josie in Verbindung.

Cover
Doch die Spannung in „Ponderosa“ ergibt sich nicht nur aus den Veränderungen innerhalb des Freundschaftsgefüges, das am Ende mit einem Knall explodieren wird. Michael Sieben baut die Dreiecksbeziehung entlang einer anderen Spannungslinie, die sich aus dem mysteriösen Verschwinden von Josies Nachbar Münze ergibt. Kris macht es sich, natürlich auf Initiative Josies, zur Aufgabe, das Rätsel zu lösen – und ist dabei mehr und mehr auf sich allein gestellt. Auf dieser Handlungsebene sind weiterführende Hinweise für den Lesenden karg gestreut, was das Buch endgültig zum Pageturner macht.
Man glaubt dieser Erzählerstimme, in all ihrer Widersprüchlichkeit, mit der sich in diesem Lebensabschnitt Naivität mit Scharfsichtigkeit oder Trägheit mit Initiative verbinden kann, und man mag sie, und das liegt nicht zuletzt an Michael Siebens Talent für leichtfüßige, auch selbstironische Komik. Überhaupt haben die Figuren bei aller Exzentrik etwas Liebenswertes an sich, die dürre Tonne in der schwarzen Emu-Kluft, über die es einen Haufen Gerüchte gibt, sowieso, die hat schon ziemlich viel Charakter. Nicht einmal Göbel, der die Rolle des leicht unterbelichteten, bei den Mädchen jedoch beliebten Kraftlackels übernimmt, wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Im Unterschied zu den jugendlichen Charakteren sind die erwachsenen Figuren - die mit Ausnahme des Handlungsmotors Münze vorwiegend durch Abwesenheit glänzen – nicht wirklich Sympathieträger. Kein Wunder, dass sich Kris, Josie und Juri in ihrer Wahlfamilie wohler fühlen als bei ihren biologischen Eltern, die zu viel arbeiten oder zu viel trinken und keine Ahnung von ihren Kindern haben. Aber auch hier wird im Text kein Urteil gefällt, so wie das Buch grundsätzlich Schuldzuweisungen und Schwarz-Weißzeichnungen vermeidet und alles irgendwie menschlich erscheint – und seien es Heimlichkeiten, Lügen und Betrug.

Dem Buch ist ein Zitat aus Stephen Chboskys „The Perks of Being a Wallflower“ („Das also ist mein Leben“) vorangestellt, das exemplarisch eine jugendliterarische Dreieicksbeziehung verhandelt. Der Aufbau der „Ponderosa“ wiederum erinnert an Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Man hat das Gefühl, Michael Sieben hat sich auf sein Debut sehr gut vorbereitet. Und das hat dem Text sichtlich gut getan. „Bonanza“ wurde erst nach 431 Folgen eingestellt. Möge dem Berliner Autor ein zumindest annäherndes Durchhaltevermögen beschieden sein.

Karin Haller