Philip Gwynne: Outback

Wenn zwei Welten aufeinander prallen, kann das mitunter Auslöser für große Veränderungen sein: Als plötzlich sein tot geglaubter Großvater in Hughs Leben auftaucht, beginnt für den 16jährigen eine Reise mit unbestimmtem Ausgang – dreitausend Kilometer von Sydney bis zum Ayers Rock.

Übersetzt von Kai Kilian
Mannheim: Sauerländer 2011


Wenn zwei Welten aufeinander prallen, kann das mitunter Auslöser für große Veränderungen sein: Als plötzlich sein tot geglaubter Großvater in Hughs Leben auftaucht, beginnt für den 16jährigen eine Reise mit unbestimmtem Ausgang – dreitausend Kilometer von Sydney bis zum Ayers Rock.

Es ist ein Gespann der Gegensätze, das sich in einem Holden Monaro Oldtimer quer durch das australische Outback schlägt. Ein „dürrer alter Knacker mit Pferdeschwanz und Hippieweste“ der eine, der andere möchte keine Flip-Flops mit der Begründung: „Ich soll keine tragen. Wegen meiner Senkfüße“. Das sagt eigentlich schon alles. Hughs Leben ist bis ins Detail durch reglementiert und geplant. Nach dem Abschluss einer der besten Privatschulen wird er als musikalische Nachwuchshoffnung am Konservatorium Cello studieren, die Aufnahmeprüfung ist eigentlich nur eine Formalität. Dass er sich nur eine Woche vor diesem alles entscheidenden Tag auf den Trip mit seinem Großvater Poppy einlässt, ist so ziemlich das Verrückteste, was er bisher getan hat, und hat wesentlich damit zu tun, dass seine wahre und geheime Liebe nicht der Musik, sondern Autos gehört.

Wie es sich für einen anständigen Jugendroman gehört, wird diese Fahrt für den jungen Protagonisten zur Reise zu sich selbst. Indem er die aberwitzigsten Situationen - Überfälle, Verfolgungsjagden, Schüsse - zu meistern hat, deckt Hugh Stück für Stück den Teil seiner Persönlichkeit auf, der von den bildungsbürgerlich-engstirnigen Eltern unter Verschluss gehalten wurde: Sponaneität, Risikobereitschaft – und vor allem Toleranz. Die braucht er auch, um seinen Großvater so annehmen zu können wie er ist. Denn Poppy repräsentiert nicht nur äußerlich den Bruch mit Konventionen; zeit seines Lebens hat er sich nicht an Regeln gehalten: Ehemals drogensüchtig, verschuldete er den Tod des Sohnes und verließ die Familie von einem Tag auf den anderen. Hard stuff für Hugh, der auf die Einstellung „Drogenkonsum ist Schwäche“ getrimmt wurde.

Doch mit jedem Kilometer im Holden Monaro lässt der Junge Hugh mehr und mehr zurück und wird zu Brockie, wie ihn sein Großvater nennt, entfernt sich von dem auf Erfolg programmierten Musterschüler und beginnt, sich gegen die Enge und Vorherbestimmtheit seines Lebens aufzulehnen.

Eine Revolte, die darin gipfelt, dass er das Vorspiel am Konservatorium bewusst versemmelt, indem er nahtlos von Dvoraks Cellokonzert zu Elvis Presleys „Love me tender“ überwechselt. Dem Soundtrack auf seiner Fahrt zum Ayers Rock.

Cover
Philippe Gwynnes „Outback“ ist also eine nahezu klassische Coming of Age Erzählung, Reise als Selbstfindungsmotiv, Generationenkonflikt und übrigens auch erste Liebe inklusive. Was das Buch dann doch zu einem besonderen macht, ist die Leichtigkeit des Witzes und die Selbstironie des Ich-Erzählers, die für einen fast durchgehend humoristischen Hintergrund sorgen.

Der australische Autor konnte schon mit Büchern wie „Ein fetter Fang im langweiligsten Kaff der Welt“ von seinem guten Händchen für skurrile Situationen, Dialoge und Figuren überzeugen. Und irgendwie ist da immer auch zu spüren, dass da etwas Ernstes verhandelt wird, da gerinnt der Witz nicht zum Selbstzweck, sondern dient einer Distanz, mit der sich besser reflektieren lässt: Über das Leben und den Tod, denn auch darum geht es. Es ist Poppys Krebserkrankung, die den Auslöser dafür darstellt, dass er nach so vielen Jahren Kontakt zu seinem Enkel sucht. Was für den Jungen die erste große Reise ist, soll für den Alten die letzte sein.

Dass diese sich im faszinierenden Ambiente des australischen Outbacks abspielt und viel von den Farben und bizarren Formen dieser Landschaft eingefangen wird, ist eine weitere Qualität des Textes. Der, auch das muss gesagt werden, eine durchgehende Hommage an Autos und insbesondere Oldtimer, an Autorennen und gewagte Fahrmanöver darstellt. Doch auch wenn man keinen Führerschein besitzt und bei Formel Eins Rennen einschläft, liest man den Roman mit großem Vergnügen. Weil er Humor und Ernsthaftigkeit wunderbar verbindet, weil er zentral die Frage nach Fremd- und Selbstbestimmtheit aufwirft. Wo der Junge lernt, sich gegen die Dominanz anderer zur Wehr zu setzen, erkennt der Alte, dass individuelle Freiheit nicht in Verantwortungslosigkeit mündet. Wenn zwei Welten aufeinander prallen, können sie sich eben auch miteinander verbinden.

Karin Haller