Tamara Bach: Marsmädchen

„Scheiße, ist mir langweilig“. Winter in einer deutschen Kleinstadt. Damit nicht genug, ist Miriam auch noch fünfzehn, also im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein. „Fünfzehn ist so .... gar nichts. Auch so mittendrin“.

Hamburg: Oetinger 2003 | 160 S. | ab 12 Jahren


„Scheiße, ist mir langweilig“. Winter in einer deutschen Kleinstadt. Damit nicht genug, ist Miriam auch noch fünfzehn, also im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein. „Fünfzehn ist so .... gar nichts. Auch so mittendrin“.

Drei Freundinnen sitzen im Mädchenklo der Schule und rauchen und warten, dass was passiert. So wie jeden Tag. Und dann passiert tatsächlich etwas. Miriam verliebt sich. In ihre Mitschülerin Laura. Das macht die Beziehung zwar noch ein wenig komplizierter, das Buch aber trotzdem nicht zu einem „Coming Out“ – Text. Nicht die Zielperson der Verliebtheit und deren Geschlecht ist entscheidend, sondern das erstmalige Erfahren des Gefühls an sich. Hochgefühl, Verwirrung und Depression inklusive. Es gibt kein Happy End. Laura zieht zu ihrem Vater nach Köln, hinterlässt weder Adresse noch Telefonnummer. Und wenn am Ende Miriam und Lauras „Nur-ein-Freund“-Freund Philip in der Disco vergeblich auf sie warten, bleibt ohnehin offen, wer wen liebt. Und die vage Hoffnung auf bessere Zeiten: „Es wird Sommer. Ganz bestimmt“.

Die siebenundzwanzigjährige Berliner Germanistikstudentin Tamara Bach hat mit ihrem Erstling „Marsmädchen“ einen der bestechendsten deutschen Adolenszenzromane der letzten Jahre vorgelegt. Die Faszination des Textes ergibt sich weniger aus dem Thema denn aus den stilistischen Mitteln, mit denen die Autorin arbeitet. Aus der extrem verknappten, an jugendliche Szenen angelehnten Kunstsprache, die sich zielsicher durch innere Monologe und temporeiche Dialoge bewegt. Etwa das sprachliche Duell zwischen Miriam und ihrer Mutter, das nicht nur durch die gedanklichen Kommentare der Ich-Erzählerin („Nimm das!“) an eine Fechtszene erinnert: „Nein, du gehst jetzt und rufst Helene an!“. Einen Scheiß werde ich machen. „Sofort!“. Na gut.“ Prägnanter lässt sich die Kommunikationsstruktur zwischen Mutter und pubertierender Tochter kaum beschreiben.
Souverän setzt die Autorin neue sprachliche Bilder, Gedankensplitter und intermediale Bezüge, Verknüpfungen mit Zitaten aus Songtexten. Die Lyrics sind nicht nur handlungsbegleitender Soundtrack, sondern wichtiges erzählerisches Element, verweisen subtil auf künftige Entwicklungen. Wenn “The Girl from Mars” von Ash gespielt wird, Lauras Lied.

Oder wenn Björk „This small town hasn´t got room for my big feelings” singt. Und damit Miriams Sehnsucht nach emotionaler Intensität und dem Bruch mit der lähmenden Vorhersehbarkeit ihres Alltags auf den Punkt bringt: „Manchmal ist es so, kennst du das, es ist ganz ruhig und in dir schreit alles plötzlich ganz laut. Manchmal bin ich innen viel größer und passe hier nicht rein“.

Cover
Die Perspektive der Ich-Erzählerin ist ausschließlich die ihre, niemals durchwässert von Sichtweisen anderer Figuren oder auktorialen Färbungen. Auch dann nicht, wenn getrunken wird, mal mehr, mal weniger, wenn zwei Mädchen miteinander schlafen, wenn geraucht und ab und zu gekifft wird. Die ganz normale Jugend, der ganz normale elterliche Alptraum. Moralische Bewertungen gibt es nicht, auch nicht zwischen den Zeilen. Es ist, wie es ist. Das alles gehört mit nicht in Frage gestellter Selbstverständlichkeit zum Leben dieser Fünfzehnjährigen dazu, so selbstverständlich, dass es schon wieder anödet: „Manchmal hoffe ich, dass etwas passiert. Etwas, das mir den Atem nimmt. Mehr als „Ina hat mit Patrick geknutscht“ oder „Simone ist mit so einem Kerl versackt“ oder „Matthias war dermaßen zugerichtet, dass er drei Stunden lang gekotzt hat.“ Das sind die Dinge, die hier so geschehen, wenn es heißt, es ist etwas passiert.“

Spätestens an solchen erzählerischen Punkten wird deutlich, wie sehr sich ein Teil der Jugendliteratur seit ihren ersten zaghaften Tabubrüchen Ende der 60er, Anfang der 70er verändert hat. Früher Transportmittel moralisch-pädagogischer Belehrungen ist sie heute im besten Fall kommentarlose Zustandsbeschreibung jugendlichen Lebensgefühls. Mit einer – für Erwachsene manchmal fast beängstigenden – Kompromisslosigkeit dem Hier und Jetzt verhaftet, mit großen Sehnsüchten und noch größeren Illusionen, mit von Ratio und Erfahrungen unbehelligten Gefühlen.

„Glückliche Jugend?“ Ein Witz. Um die Autorin selbst zu zitieren: „ Mich hat mal eine Frau in einem Interview gefragt: Wie ist man denn so mit 15? Na ja, man fühlt sich nicht besonders glücklich. Oder wie haben Sie sich gefühlt? Und sie antwortete: Ich war glücklich. Da habe ich ihr entgegnet: Sie lügen. Kann gar nicht sein.“
In „Marsmädchen“ lügt Tamara Bach nicht.

Karin Haller