Kathrin Steinberger: Manchmal dreht das Leben einfach um

Freiheit wird maximal erlebbar, wenn aus Hindernissen Chancen zum Abheben werden“: Das ist die grundsätzliche Idee, die hinter dem Skateboarden steht.

Wien: Jungbrunnen 2015


Freiheit wird maximal erlebbar, wenn aus Hindernissen Chancen zum Abheben werden“: Das ist die grundsätzliche Idee, die hinter dem Skateboarden steht. Dass in Kathrin Steinbergers neuem Jugendroman „Manchmal dreht das Leben einfach um“ gerade diese Sportart der 16jährigen Ich-Erzählerin ein neues Leben eröffnen wird, überrascht das Mädchen selbst. Denn Abheben zählt nicht gerade zu Alis bevorzugten Bewegungsformen – sie bleibt eigentlich lieber am Boden. Sie, das hochbegabte Wunderkind mit dem eidetischen Gedächtnis, hängt an Gewohnheiten. Neues, Ungewohntes überfordert sie schnell. Zahlen und Fakten bilden den Sicherheit bietenden Rahmen ihrer Welt, an dem sie sich orientiert. „Ich bin vielleicht ein bisschen autistisch“, meint sie von sich selbst. Irgendein Begriff, der Name eines Filmes, einer Band, einer Fernsehserie, und in ihrem Kopf poppt der dazugehörige Informationsblock auf wie bei Wikipedia.

Mit Menschen hat sie es nicht so, von ihrer Freundin Isa mal abgesehen, Partys sind ihr ein Gräuel. Würde Kevin Donner nicht ausgerechnet in das Nachbarhaus ziehen, sie würden sich wahrscheinlich nie begegnen. Doch so lernen sie sich kennen, die zurückhaltende Einzelgängerin, die am liebsten unbemerkt bleibt, und der kommunikative, spontane Skateboard-Profi, der nach einem schweren Sturz seine Karriere schon mit 20 Jahren beenden musste und sich nun am Rand einer Kleinstadt von der Welt abschottet.

Und so ändert das Leben, das Ali vorgezeichnet war, die Richtung. Kevin zeigt ihr, wie man Snowboard fährt, bringt ihr skateboarden bei. Dass sie nicht nur als Sportkamerad an ihm interessiert ist, merkt sie selbst als letzte, dann aber richtig. Denn die beiden jungen Menschen verlieben sich bedingungslos ineinander, erleben – beide zum ersten Mal – eine wundervolle Sexualität. Doch das Glück bleibt nicht ungetrübt, denn Kevin zieht sich ohne ersichtlichen Grund immer wieder in sich selbst zurück. Irgendetwas verbirgt er, ein Geheimnis, über das er mit niemandem sprechen kann. Und eines Tages ist er plötzlich verschwunden …
Obwohl es in „Manchmal dreht das Leben einfach um“ um Speed-Sportarten geht, ist es ein sehr ruhiges Buch, das seinen Spannungsbogen in einer eher flachen Kurve aufbaut. Und doch langweilt es nie – weil man als Lesender sehr schnell intensiven Anteil nimmt an diesem außergewöhnlichen jungen Mädchen.

Cover
Steinberger geht tief und weit in der Charakterisierung ihrer Figur, nimmt sich für die Zeichnung von Alis bürgerlich-verkarsteter Familie viel Zeit, für das schwierige Vater-Tochter Verhältnis, für Alis Ausgangspunkt ihrer Entwicklung. Durch Kevin wird ihre Welt weiter, durch ihn lernt sie lebensfrohe, warmherzige Menschen kennen, Skateboarder, die das Gegenteil der auf den äußeren Schein bedachten Reihenhaus-Ordnung verkörpern. Durch Kevin kommt Ali vom Stillstand in eine Bewegung, deren Geschwindigkeit sich langsam steigert, bis sie sogar den Sprung wagt: sich dem dominanten Vater entgegenzustellen und für die eigenen Überzeugungen einzutreten. Dabei darf erfreulicherweise die Protagonistin so speziell und introvertiert bleiben, wie sie ist, muss sich nicht in Richtung eines sozial erwünschten „Hoppla, jetzt komme ich“-Selbstbewusstseins verändern.

Die Autorin hält die Perspektive der Ich-Erzählerin bruchlos durch, keine objektivierenden Kommentare oder Zwischentöne verfärben Alis subjektive Sichtweise. Kevin lernen wir auch als Leser, als Leserin nur so kennen, wie sie ihn sieht – idealisiert. Er ähnelt Liam Hemsworth, dem nicht gerade unattraktiven Darsteller des Gale in „Die Tribute von Panem“, seine geheimnisvollen Aussetzer machen ihn nur noch spannender. Auch dass er außer Sport nur an Reiten und Computerspielen interessiert ist, stört sie nicht. Die emotionale Qualität, mit der er liebevoll und zärtlich ihr Leben aufwertet, zählt mehr.

Dem Verlag Jungbrunnen ist dafür zu danken, den Text in österreichischem Deutsch belassen zu haben – im Glossar wird erklärt, was ein Polster, ein Sack oder eine Weste sind. Am bundesdeutsch dominierten Markt eine Besonderheit. Ebenso wie der ausgesprochen lange Abspann des Buches, in dem mehrere Jahre nach dem Ende der eigentlichen Geschichte im Zeitraffer erzählt werden. Jahre, in denen das Leben eben wieder umdrehen kann. Aber immer bleiben Hindernisse Chancen zum Abheben ...

Karin Haller