Cynthia Kadohata: Kira-Kira

Nicht nur, aber gerade auch zu Weihnachten passen Bücher über die Liebe. Ganz besonders, wenn sie über die Liebe zwischen Eltern und Kindern, die Liebe zwischen Geschwistern erzählen. Cynthia Kadohatas neuer Jugendroman „Kira-Kira“ ist so ein Buch.

Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
Hildesheim: Gerstenberg 2007


Nicht nur, aber gerade auch zu Weihnachten passen Bücher über die Liebe. Ganz besonders, wenn sie über die Liebe zwischen Eltern und Kindern, die Liebe zwischen Geschwistern erzählen. Cynthia Kadohatas neuer Jugendroman „Kira-Kira“ ist so ein Buch.

„Kira-Kira“ bedeutet auf japanisch „funkelnd“. Wie die Sterne – oder wie alles, was schön ist. Das können auch Schmetterlinge oder bunte Taschentücher sein. So sieht es zumindest Katie, die von ihrer älteren Schwester Lynn eine ganz besondere Sicht auf die Dinge lernt:

„Lynn konnte einen ganz alltäglichen Gegenstand wie zum Beispiel eine Kleenexbox benutzen und mit ihm zeigen, wie erstaunlich die Welt ist.“ Für Katie leuchtet die Welt, auch wenn die Realität dunkel ist. Wenn sie übersiedeln müssen, weil das Geschäft des Vaters pleite geht. Wenn die Eltern in einer Geflügelfabrik bis zum Umfallen ausgebeutet werden, sodass sie vor lauter Arbeit kaum mehr Zeit für ihre Kinder haben. Wenn die weiße Bevölkerung sie als japanische Einwanderer ausgrenzt und sich nur schwer Freunde finden lassen.

Die Welt leuchtet, denn Katie hat Lynn, sie hat ihren kleinen Bruder Sammy, ihre Verwandten, sie hat trotz allem ihre Eltern, und sie sind einander auf eine so bedingungslose Art verbunden, dass alles andere nicht wirklich wichtig ist. Diese Familie funktioniert wie eine emotionale Glaskuppel, die ihre Bewohner beschützt.

Doch dieser Schutzraum bekommt immer mehr Risse, als Lynn unheilbar an Krebs erkrankt, die Eltern fast rund um die Uhr arbeiten müssen, um die Arztrechnungen zu bezahlen, Katie die Pflege ihrer immer schwächer werdenden Schwester übernimmt. Umsonst. Lynn stirbt. Es ist an Katie, das Funkeln, das diese in ihr Leben gebracht hat, mit ihrem Andenken zu bewahren und weiterzutragen.

„Kira-Kira“ erzählt – wie viele gute Bücher - von vertrauten Gefühlen wie Glück und Trauer, Freude und Wut. Anderes wieder liest sich für heimische Jugendliche fremd: Die Stimmung im amerikanischen Süden der 50er Jahre, in dem Rassismus offen gelebt wird: „Auf den Restaurantschildern standen Dinge wie FARBIGE HINTEN. Die weißen Menschen saßen vorn. Wir wussten nicht, wo wir uns hinsetzen durften, deshalb bestellten wir immer zum Mitnehmen.“

Cover
Die Ausbeutung der Arbeiter, die während der Arbeitszeit nicht einmal zur Toilette dürfen, die Anfänge der Gewerkschaft, die sich erst in den eigenen Reihen Akzeptanz verschaffen muss - auch davon erzählt Cynthia Kadohata – auf eigenem biographischem Boden stehend – ohne die Perspektive der Ich-Erzählerin Katie zu verlassen. Das Leben in einer japanischen Immigrantenfamilie wird in Details deutlich, ohne den Leser zu erdrücken. In diesem Gefüge herrschen unausgesprochen klare Regeln, Traditionen werden mit Selbstverständlichkeit fortgeführt, Werte sind keine hohlen Lippenbekenntnisse, sondern gelebte Überzeugungen: Als der Vater nach Lynns Tod in einer Kurzschlusshandlung das Auto des Fabrikbesitzers demoliert, steht er ohne äußere Notwendigkeit dafür ein. Um seiner Tochter, nachdem er entlassen worden ist, zu sagen: „Ich will, dass du niemals Angst hast, dich zu entschuldigen.“

Viele Themen bilden die Hintergrundmusik dieses berührenden, aber nicht nicht rührseligen Buches, das völlig zu Recht mit der renommierten Newbery Medal ausgezeichnet wurde. Doch im wesentlichen geht es der Autorin um die Darstellung eines Zusammenhalts innerhalb der Familie, der auf gegenseitigem Respekt und Akzeptanz gründet.

Dabei agieren die Mitglieder teilweise mit einer Selbstlosigkeit, die staunen macht, nicht nur der Eltern, sondern auch der Kinder. Wenn die Eltern sparen, um sich ein bisschen mehr Wohlstand und ein kleines Haus leisten zu können, legen auch die Schwestern heimlich das Geld für Süßigkeiten zur Seite. Wenn die Mutter den ganzen Tag in der Fabrik arbeitet, kümmert sich die knapp zehnjährige Katie allein im brütend heißen Auto um ihren kleinen Bruder.

„Kira-Kira“ erzählt vom Zauber alltäglicher Dinge, von einer Liebe über den Tod hinaus, von Authentizität. Das passt immer, nicht nur zu Weihnachten. Aber eben gerade auch.

Karin Haller