Tamara Bach: Jetzt ist hier

Vier sechzehn-, siebzehnjährige Jugendliche, die sich mit dem herumschlagen müssen, was jetzt einfach Sache ist: Probleme in der Familie, überforderte Eltern, unerwiderte Liebe. Vier junge Menschen in der Umbruchszeit zum Erwachsensein ...

Hamburg: Oetinger 2007


Da sitzt eine in Berlin und schreibt einen herausragenden Jugendroman nach dem anderen. Für den ersten, „Marsmädchen“, hat sie 2004 gleich den Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen, „Busfahrt mit Kuhn“ ist auch schon in der zweiten Auflage, und diesen Herbst hat Tamara Bach ihren bislang reifsten Text vorgelegt: „Jetzt ist hier.“ Eine unbedingte Leseempfehlung. Der Titel ist Programm. Vier sechzehn-, siebzehnjährige Jugendliche, die sich mit dem herumschlagen müssen, was jetzt einfach Sache ist: Probleme in der Familie, überforderte Eltern, unerwiderte Liebe. Vier junge Menschen in der Umbruchszeit zum Erwachsensein, die - auch wenn sie sich noch sosehr das Gegenteil wünschen - nicht anders können als nur sie selbst zu sein. Auf der Suche nach dem Ort und dem Moment, an dem alles richtig ist. An dem alles stimmt. Davon sind Mono, Zanker, Bowie und Fienchen weit entfernt.

Das Buch setzt zu Silvester ein, das die vier Freunde mangels Alternativen auf einer öden Party verbringen. Wohl fühlt sich dort keiner. Zanker, von ständiger weiblicher Adoration gestresster womanizer, muss sich mit Altlast Helena herumschlagen, Mono verliebt sich Hals über Kopf in die unerreichbare Natalie, Bowie lässt sich volllaufen und abschleppen, um zumindest für kurze Zeit zu vergessen, dass seine Mutter vor einem halben Jahr gestorben ist. Und Fienchen´s Welt kreist hoffnungslos und ausschließlich um Zanker – der sie dummerweise nur als Kumpel sieht, trotz einer Knutscherei letzten Sommer. Die für Fienchen alles und für Zanker gar nichts bedeutet hat. Am nächsten Tag fühlt sich die eine „schimmlig und staubig“, der andere „alttestamentarisch“.

Cover
Damit beginnen neun Tage, die in ausgeklügeltem ständigem Perspektivenwechsel erzählt werden, angereichert mit Rückblenden und inneren Monologen. Die schnelle, bruchlose Schnitttechnik ist formal souverän und ermöglicht es dem Leser, den vier Protagonisten gleichermaßen und gleichzeitig zu folgen. Man kann sich seine Identifikationsfigur aussuchen:

Den „good guy“ des Buches, den schüchternen Mono, rührend in seiner hilflosen Sprachlosigkeit wie in seiner liebevollen Fürsorge um die kleine Schwester. Oder den eher in die „bad guy“ Richtung tendierenden Zanker: Gut aussehend, egozentrisch, mit kühler Berechnung seine Wirkung auf Frauen ausnützend. Ein Sprücheklopfer, der darunter leidet, dass ihm der Vater Zuwendung und Achtung versagt und vor seiner Einsamkeit davonrennt.

Oder den geheimnisvollen Bowie, der wütend um seine verstorbene Mutter trauert. Vom Vater vernachlässigt, unverdeckt einsam und verletzt. Ein Schweiger, der viel wahrnimmt und wenig von sich preisgibt. Die Spitznamen wurden nicht zufällig vergeben.

Und als weibliche Leserin hat man ohnehin fast keine andere Wahl, als sich mit der grundsympathischen Fienchen zu verschwestern: burschikos, beredt, klug, ehrgeizig, romantisch, tapfer gegen ihre ungestylte Jungenhaftigkeit ankämpfend. Die natürlich nur äußerlich ist – innerlich ist Fienchen so sehr Mädchen, wie man es sich nur vorstellen kann. Realitätsverweigerung und Selbsttäuschung – wie bei Mono - inklusive, sobald es um die Liebe geht.

Die vier haben dauernd miteinander zu tun, ohne sich wirklich umeinander zu kümmern. Dazu sind sie alle viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Die sich nicht lösen, auch nicht am Ende – wenn sich auch einiges verändert und verschiebt im Lauf der Geschichte.

Die Autorin ist fühlbar nahe an ihrem Zielpublikum dran, weiß zum Beispiel auch, welche Funktion Musik im Leben ihrer Protagonisten einnimmt oder welche kommunikative, emotional besetzte Rolle das Handy spielt. Männliche bzw. weibliche Verhaltensmuster werden mit verblüffender Schonungslosigkeit und knochentrockenem Witz gezeichnet - so treffsicher, dass sich beim Lesen unweigerlich ein Wiedererkennungseffekt einstellt. Sätze wie „Dann das Anrufen jeden Tag, nur um ihm zu sagen, dass er schon wieder nicht angerufen hat“ bringen die Dinge auf den Punkt.

Wie gesagt: eine unbedingte Leseempfehlung. Für die, die jetzt und hier jung sind. Und für die, die sich noch gut dran erinnern können.

Karin Haller