David Yoon: Frankly in Love

"Romeo und Julia" im Milieu koreanischstämmiger Einwanderer in die USA

Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Max
München: cbj Verlag 2020 | 496 S. | € 19,60 | ab 14 Jahren


„Es ist Unsinn, sagt die Vernunft. Es ist Unglück, sagt die Berechnung. Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht. Es ist was es ist, sagt die Liebe.“ lauten einige Zeilen aus Erich Frieds berühmtem Gedicht. Es kann passieren, dass man an sie denkt, wenn man David Yoons jugendliterarisches Debut „Frankly in love“ liest. Verhandelt der wenngleich sicher nicht lyrische Roman nicht nur das Erwachsenwerden, Identität, Diversität und die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen, sondern eben vor allem auch die Liebe in ihren verschiedenen Spielarten und Nuancen.

Am Beginn der Geschichte bezieht sich die Kussbilanz des siebzehnjährigen Highschool-Schülers Frank „auf einen Posten, und der war ein Unfall“. Das wird sich im Verlauf der Handlung rasant ändern, denn zu seiner Verblüffung sitzt er plötzlich in einem Mini-Van und küsst seine Mitschülerin Brit, die aussieht „wie eine schöne Austauschschülerin aus einem Land, das noch keiner gesehen hat.“ Was eine Umschreibung dafür ist, dass sie wie Frank selbst hochintelligent, aber ein wenig seltsam ist. Und offensichtlich bis über beide Ohren in ihn verliebt. Brit scheint perfekt zu ihm zu passen, mit Ausnahme eines Details: Sie ist weiß. Und Frank selbst ist der Sohn von koreanischen Einwanderern, die ihr Privatleben außerhalb ihres Lebensmittelladens in einer koreanischen Blase führen, was unter anderem bedeutet: Wir schuften bis zum Umfallen, um unseren Kindern ein erfolgreiches Leben in Amerika zu ermöglichen, dafür müssen die aber Bestnoten nach Hause bringen und dürfen nur Beziehungen mit Koreanern eingehen. Franks ältere Schwester Hanna hat sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz gehalten, einen Afroamerikaner geheiratet und wurde darum von der Familie verstoßen. Frank vermisst sie schrecklich.

Und ist weit davon entfernt, sich mit seinen Eltern wegen Brit anzulegen, dazu fehlt ihm der Mut. Nicht jedoch die Fantasie. Praktischerweise befindet sich Joy, die Tochter der besten – natürlich koreanischen - Freunde seiner Eltern, in einer ähnlichen Situation: Sie hat ein „chinesischer Junge-Problem“ so wie er ein „weißes Mädchen-Problem“ hat. Also geben sie sich vor ihren Eltern als Paar aus, um in Wahrheit ungestört ihre echten Partner zu treffen. Was nicht lange gut geht. Und zwar nicht, weil ihr Schwindel auffliegt, sondern weil sich Frank und Joy wirklich ineinander verlieben, und mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

David Yoon nutzt die Romeo-und-Julia Story, um sich mit den damit verbundenen Themen auseinander zu setzen: der Frage nach der eigenen Identität, nach den Rahmenbedingungen und Konsequenzen von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft, Familie und Freundschaft. Frank hat das Gefühl, nirgends hinzugehören. Er ist nicht koreanisch genug, beherrscht ja nicht einmal die Sprache wirklich, um sich in dieser Community heimisch zu fühlen. Und er ist nicht weiß genug, um wirklich amerikanisch zu sein – das „koreanisch-stämmig“ vor Amerikaner ist einfach nicht tot zu kriegen. Die Herkunft seiner Eltern bestimmt mit, wie Frank von anderen wahrgenommen wird, das geht ihm so und den anderen Kindern von Einwanderern und natürlich auch seinem besten Freund Q, der aufgrund seiner dunklen Haut noch viel schwerwiegendere rassistische Übergriffe zu fürchten hat.

David Yoon: Frankly in Love
Das klingt alles tendenziell nicht besonders lustig. Doch es ist Yoons schriftstellerischem Talent und in der deutschen Fassung der beeindruckenden Übersetzungsleistung von Claudia Max zu danken, dass sich die Geschichte auch in ihren traurigen Momenten niemals in Schwermut oder überzogener Dramatik verirrt. Dafür sorgen die pointierten Dialoge und die großartigen Figurenzeichnungen, die uns mit originellen Metaphern einzigartige, hochbegabte und hochsympathische jugendliche Nerds präsentieren. Dabei spielt der Autor auch selbstironisch mit den von ihm verwendeten Stilmitteln, etwa wenn der Ich-Erzähler in seinen inneren Monologen die eigene Wortwahl hinterfragt. So schildert Frank, wie er und Brit den Blickkontakt vermeiden: „Wir erinnern an zwei gleich ausgerichtete Pferdestatuen. Pferdestatuen?“

Am Ende hat Frank nach vielerlei Irrungen und Wirrungen seinen eigenen Weg gefunden. Hat nicht mehr das Gefühl, zwei Namen zu haben, einen englischen und einen koreanischen, sondern einen. „Zwei Namen zu haben ist ungefähr so, als würde man versuchen, zwei Personen gleichzeitig zu sein.“ Genau das nicht mehr zu wollen und seinen Frieden mit dem zu machen, wer er ist und was ihn ausmacht, ist Frank erst möglich, als er versucht, seine Eltern zu verstehen. Und erkennt, dass es nicht Respekt oder Feigheit sind, die ihm eine aggressive Rebellion gegen ihre irrationalen Regeln unmöglich machen. Dass es, auch wenn sie keine großen Umarmer sind, nicht nur wortlose Nähe ist, die ihn mit seinen Eltern verbindet, sondern eben Liebe. Dieser Roman lässt sich auch als Liebeserklärung an den Vater lesen.

Womit wir wieder bei Erich Fried wären. „Dich liebhaben, so wie du wirklich bist.“ So endet sein Gedicht „dich“. Und eigentlich auch David Yoons „Frankly in Love“.

Karin Haller