Melina Marchetta: Ich bin´s, Francesca!

„Heute Morgen ist meine Mutter nicht aufgestanden.“ So beginnt der neue, zweite, Jugendroman der australischen Autorin Melina Marchetta „Ich bin´s Francesca!“.

Aus dem australischen Englisch von Cornelia Holfelder-von der Tann
Ravensburg: Ravensburger Buchverlag 2004 | 252 S. | ab 13 Jahren


„Heute Morgen ist meine Mutter nicht aufgestanden.“ So beginnt der neue, zweite, Jugendroman der australischen Autorin Melina Marchetta „Ich bin´s Francesca!“. Dieser Satz verweist bereits auf den Ausnahmezustand, in dem sich die Ich-Erzählerin befindet. Denn Mütter haben zu funktionieren. Normalerweise tun sie das mit unhinterfragter Selbstverständlichkeit, und auch Francescas Mutter – eine Universitätsprofessorin - hat bisher das Familienleben mit überbordender Energie geschaukelt. Bisher. Denn plötzlich ist sie unfähig, ihr Zimmer zu verlassen, zu reden, zu essen. Akute Depression. Es dauert eine Weile, bis Francesca die Hintergründe begreift, bis sie sich überhaupt darauf einlassen kann, ihre Mutter als eigenständigen Menschen wahrzunehmen.

Denn eine Sechzehnjährige kümmert sich üblicherweise ausschließlich – um sich selbst. Und um ihre Freundinnen und Freunde, die sogenannte „Peer Group“. Francesca ist da keine Ausnahme, ihr Pech ist nur, dass sie an eine andere Schule versetzt wurde, ein ehemaliges Jungengymnasium, in dem auf siebenhundert Jungs nur dreißig Mädchen kommen. Was nicht nur bedeutet, dass sie ihre ehemalige Clique verloren hat, sondern auch, dass beim Finden einer neuen die Auswahl nicht sehr groß ist. Doch wie das Leben in Büchern so spielt, entdeckt Francesca im Verlauf der folgenden 250 Seiten, dass die ehemaligen Schulkolleginnen Tussen sind und ihre neue Umgebung die wahren Freunde zu bieten hat.

Die beiden Erzählstränge – Francescas Leben in der vorerst verhassten Schule und ihr Kampf gegen das Auseinanderbrechen der Familie – verbinden sich zu einem Netzwerk jugendlicher Identitätssuche, die sich in mehreren Richtungen lesen lässt. Als Reifungsprozess eines Mädchens, das langsam das Wesentliche individueller Rollenfindung und zwischenmenschlicher Beziehungen erspürt. Als Beitrag zur Genderthematik natürlich. Schließlich müssen nicht nur die Mädchen am St. Sebastian mit Petitionslisten um ihre Rechte kämpfen, auch die Kommunikationsstrukturen der Eltern werden als geschlechtsspezifische Verhaltensmuster problematisiert. Und, ach ja, Liebe gibt´s natürlich auch.

Bei der Geschlechterdarstellung und der Fixierung verschiedener Typen – oberflächliche Girlies, kämpferische Außenseiterinnen, Jungs mit harter Schale und weichem Kern – kommt die Autorin nicht ohne Klischees aus, doch sie bricht und ironisiert sie auch immer wieder:

„Wider Willen denke ich, dass er hinter dem Kotzbrockenimage, das er so sorgfältig pflegt, womöglich gar nicht so übel ist. Vielleicht ist er ja im tiefsten Inneren ein sensibler Junge, der ganz genau mitkriegt, wenn andere Leute Probleme haben. Ich möchte etwas Nettes sagen, ihm irgendwie danken. Ich stehe da und probe im Kopf. „Ey Mann,“ sagt er, „hast du der ihre Titten gesehen.“ Vielleicht nicht heute.“

Cover
Vor allem, wenn es um das von Sechzehn-, Siebzehnjährigen durchgespielte weibliche bzw. männliche Rollenverhalten geht, ist der Text extrem witzig zu lesen. Diese Leichtigkeit wird an anderen Stellen mit sprachlicher Ernsthaftigkeit verbunden, dort, wo Flapsigkeit einfach nichts zu suchen hat. Bei der Darstellung der Depression der Mutter, des Konflikts mit dem Vater, der liebevollen Beziehung zum jüngeren Bruder. In diesen Teilen geht die Autorin – mit allem Nachdruck - sehr sensibel vor.

Sie überzeugt mit ihrem erzählerischen Können, mit dem die thematische Vielfalt bewältigt wird. Marchettas Stil findet den adäquaten Ton: In den Reflexionspassagen der Ich-Erzählerin eine fließende Aneinanderreihung von Satzgefügen, in den Situationsbeschreibungen kurz und prägnant. Als Appetizer für den jungen Leser - bzw. bei diesem Titel allein schon wegen der leider misslungenen Covergestaltung eher die junge Leserin - gibt es immer wieder Zitate aus der Populärkultur. Ein überlegt zusammengesetzter Mix aus verschiedenen sprachlichen Ebenen und Stimmungen, aber alles ausgesprochen lesbar. Gut verdaulich sozusagen. So wie der Schluss mit stark angedeutetem Happy-End. „Heute Morgen ist meine Mutter aufgestanden.“

Karin Haller