Sjoerd Kuyper: Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling

„Sei einfach du selbst“, wird dem dreizehnjährigen Kos geraten, der zwar unsterblich in Isabel verliebt ist, aber vor lauter Schüchternheit nichts auf die Reihe kriegt.

Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart
Stuttgart: Gabriel 2015


„Sei einfach du selbst“, wird dem dreizehnjährigen Kos geraten, der zwar unsterblich in Isabel verliebt ist, aber vor lauter Schüchternheit nichts auf die Reihe kriegt. Leichter gesagt als getan, wenn Mädchen ein fremdes Universum sind, zu dem man als Junge keinen Zutritt hat. Davon ist Kos überzeugt, schließlich hat er drei Schwestern. Libbie, Briek und die kleine Pel machen zu dritt ihr Ding, exklusiv: „Sie haben einander, und ich habe meinen Vater.“ Die Mutter ist vor drei Jahren an Krebs gestorben. Aber die Verliebtheit in Isabel ist zur Zeit nicht Kos´ größtes Problem. Nach einem Herzinfarkt liegt der Vater im Krankenhaus, und die Kinder müssen das Familienhotel alleine schaukeln. Trotz hohem kreativem Einsatz und Unterstützung durch einen siebzigjährigen Koch endet schon der erste Tag im Chaos und dem Massenexodus der Gäste. Zwar taucht dann eine Jugendnationalmannschaft aus dem exotischen Tuvalu auf, doch Geld haben die auch keines. Was umso problematischer ist, als das Hotel verschuldet ist und den Geschwistern der Gerichtsvollzieher im Nacken sitzt. Extreme Situationen verlangen extreme Maßnahmen – die gut dotierte Wahl zur Miss Nordsee muss gewonnen werden. Wenn die Schwester wegen Liebeskummer ausfällt, notfalls eben von dem auf Mädchen getrimmten Kos. Und so ganz nebenbei muss der Junge auch noch bei einem Testspiel für Ajax Amsterdam antreten ...

Am Ende geht alles gut. Der Vater kommt nach erfolgreicher Operation nach Hause, Kos überzeugt den Ajax-Scout, das Hotel ist gerettet und die Schwestern finden Partner. Libbie den Stammgast Felix, der jetzt doch nicht ins Wasser zu gehen braucht, Briek ihren Akelei, einen der Spieler aus Tuvalu, der außer „Du bist ein lieber Schatz!“ kein Wort Niederländisch spricht. Egal - hier findet jedes Töpfchen sein Deckelchen, für die tierliebende Pel ist es eben eine Kegelrobbe. Und sogar Kos und Isabel kriegen im Zuge der Ereignisse mit, dass ihre Liebe beidseitig ist.

Glücklicherweise, haben wir als Leserinnen und Leser doch die von Isabel angefertigte Abschrift von Kos´ Tontagebuch vor uns, das er in diesem bemerkenswerten Mai geführt hat. Stellenweise versehen mit Isabels kursiv gesetzten Kommentaren. Das liest sich dann etwa so: Stimme Kos: „Am besten wäre es, ich hätte zwei Mädchen – eine, mit der ich alles mache, und Isabel. Aber ich glaube nicht, das Isabel das gut finden würde.“ Kursive Ergänzung: „Stimmt.“

Sjoerd Kuypers „Erst wirst du verrückt und dann ein Schmetterling“ oszilliert in bester tragikomischer Tradition zwischen einem auf Situationskomik und genial-absurden Einfällen basierenden Humor und leiser Traurigkeit, die nicht zuletzt in den Erinnerungen an die Mutter immer wieder spürbar wird. Deren Tod hat aus der Familie ein Häufchen Überlebender mit unterschiedlichen Bewältigungsstrategien gemacht. Die neunzehnjährige Libbie, die ihren Geschwistern die Mutter ersetzen will, baut auf Rationaliät, Briek im Gothic Look auf zornige Emotionalität und die sechsjährige Pel, die ein Kleid der Mutter als Nachthemd trägt, auf schlichtes Ignorieren der Tatsachen. „Wenn Papa stirbt, kann er bei Mama wohnen“, sagte Pel, „in meinem Zimmer.“ Was von keinem ihrer Geschwister kommentiert oder gar in Frage gestellt wird.

Cover
Wenn es drauf ankommt, halten sie zusammen, auch wenn es manchmal holpert, wie der durch eine geschlossene Tür hindurch geführter Dialog zwischen Kos und Briek zeigt. „Kannst du mir bitte helfen?“ fragte ich. „Nein.“ „Aber ich bin doch dein Bruder!“ „Der Bruder ist der Feind der Schwester.“ „Ich brauche den Rat einer Frau!“ Der Mann ist der Feind der Frau.“ „Ich bin verliebt!“ „Der Mensch ist der Feind des Menschen.“ „Leih mir bitte deine Wimperntusche!“ Das machte sie neugierig.“

Es ist der Facettenreichtum, der dieses Buch so lesenswert macht. Auf der einen Seite ist es richtig lustig, es gibt herrlich absurde Figuren und haarsträubende Handlungsstränge. Doch neben aller Komik hat der Text eben auch eine andere Seite – eine zarte, leise, in der von Tod und Trauer, von Verlust und Liebe erzählt wird. Kos würde es selbst nie so sehen, aber er hat schon auch einen Hang zur Poesie. Nachdem er im Affenkostüm mit einem Obstkorb auf dem Kopf Werbung für eine Safterei gemacht hat, sinniert er vor sich hin: „Aber wenn ich jemals mit einem anderen Mädchen verabredet bin, dann ziehe ich wieder ein Affenkostüm an, garantiert, und dann traue ich mich, alles zu sagen, was ich sagen will. Obwohl, irgendwann muss man raus aus dem Kostüm und raus aus den Kleidern, irgendwann muss die Haut ab, damit man das Herz klopfen sieht.“

Der Roman hat Herz und er hat Hirn und zeigt, dass Realität in der Literatur breiten Spielraum hat. Wobei ... wenn Sie einer Fussballmannschaft aus einem pazifischen Inselstaat begegnen, halten Sie die Augen offen. Es könnte die Liebe Ihres Lebens darunter sein. Dasselbe gilt für Kegelrobben.

Karin Haller