Rainbow Rowell: Eleanor & Park

Warum haben Romeo und Julia vierhundert Jahre lang überlebt?“ fragt der Englischlehrer den sechzehnjährigen Park. Worauf dieser zögernd antwortet: „Weil die Leute sich gern daran erinnern, wie es ist, jung zu sein? Und verliebt?“

Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
München: Hanser 2014


„Warum haben Romeo und Julia vierhundert Jahre lang überlebt?“ fragt der Englischlehrer den sechzehnjährigen Park. Worauf dieser zögernd antwortet: „Weil die Leute sich gern daran erinnern, wie es ist, jung zu sein? Und verliebt?“
Genau darum, um die erste ganz große Liebe, geht es in Rainbow Rowells Jugendbuchdebüt. Dessen Titel folgerichtig nur aus den Eigennamen seiner Hauptfiguren bestehen kann: Eleanor und Park. Und nein, diese Liebe wird nicht gut enden – das macht schon der Vorspann klar. Oder vielleicht doch?

Schauplatz ist nicht das Verona des 16. Jahrhunderts, sondern Omaha, Nebraska, im August 1986. Das Jahr, in dem Falco mit „Rock me Amadeus“ seinen Nummer eins Hit in den amerikanischen Charts hatte, doch davon bekommt Park nichts mit. Sein Herz schlägt im Independent-Takt von Bands wie „The Smiths“ oder „Joy Division“, mit dieser Musik macht er Eleanor bekannt, der er ein Tape nach dem anderen aufnimmt.
Doch damit haben wir gewissermaßen vorgespult, denn ihre erste Begegnung verläuft nicht gerade prickelnd. Als Eleanor, die Neue, in den Schulbus einsteigt, bietet Park ihr aus reinem Mitleid den Sitzplatz neben sich an - es ist auf Anhieb klar: Sie ist die klassische Außenseiterin, das perfekte Opfer. Angezogen wie eine Vogelscheuche, wirkt sie in ihren unförmigen Männerhemden und Schlabberhosen dicker und schwerer als sie tatsächlich ist. „Wie bei einem Zugunglück oder einer Sonnenfinsternis. Man konnte den Blick nicht abwenden." Und auch von ihrer Seite aus ist es definitiv nicht Liebe auf den ersten Blick – für Eleanor ist Park zunächst nur der kleine komische Asiate. Dass er ein paar Wochen später zu ihrem ganz persönlichen Bruce Lee werden wird, der sich sogar für sie prügelt, um sie zu verteidigen – davon ahnen beide nichts.
Langsam tasten sie sich aneinander heran. Lesen im Bus zunächst wortlos zusammen seine Comics, um irgendwann dann doch miteinander zu reden, über die X-Men und über Musik. Um sich schließlich unsterblich ineinander zu verlieben. Diese Annäherung wird in einer sehr zarten Sprache erzählt, so vorsichtig und behutsam, wie sich die Gefühle der Figuren füreinander entwickeln. Die unmerklich eine enorme Intensität erreichen.

Cover
Indem der Text ständig die Perspektive zwischen den beiden Figuren wechselt, dabei nicht in die Innenschau einer Ich-Perspektive geht, sondern in der beschreibenden Distanz des personalen Erzählers bzw. der Erzählerin bleibt, erfährt der Lesende kontinuierlich mehr, als den Charakteren selbst bewusst wird.
An einer Stelle heißt es zum Beispiel ganz nebenher, dass Eleanor und Park gleich groß sind, doch in Parks erster Wahrnehmung ist sie „groß“, und umgekehrt er in der ihren „klein“. Es sind Details wie diese, die das erzählerische Talent der amerikanischen Autorin ausmachen – in der Tiefe der jeweiligen Subjektivität bringt sie ihre beiden Figuren dem Leser, der Leserin emotional sehr nahe.
Doch wie bei Shakespeare wird den Teenagern die Liebe unmöglich gemacht. Bei Rowell ist es Eleanors Stiefvater Ritchie, der das Leben des Mädchens ins Chaos stürzt. Ein Jahr lang durfte sie nicht nach Hause, als er sauer auf sie war, wurde bei befreundeten Nachbarn untergebracht. Und jetzt sitzt sie wieder mit ihren vier jüngeren Geschwistern zitternd vor Angst im Nebenzimmer, wenn Ritchie ihre Mutter schlägt. Nie würde der brutale Choleriker eine Beziehung Eleanors zu einem Jungen zulassen – und es ist nicht nur Aggression, was sie fürchten muss.
Das Mädchen hat buchstäblich nichts, nicht einmal eine Zahnbürste, wäscht ihre ohnedies immer wirren roten Locken mit Spülmittel. Kein Wunder, dass Parks Familie ihr vorkommt wie eine Wiederauferstehung der Waltons. Dessen Eltern sind verrückt nacheinander, seit sein Vater, der aussieht wie Tom Selleck als Magnum, seine Mutter aus dem Koreakrieg mit nach Amerika gebracht hat.

Für Eleanor ist Park ihr Held. Für ihn fühlt es sich so an, dass „sein Ansehen gerade ausreicht, um sich keinen Ärger einzuhandeln“, sein asiatisches Aussehen macht ihn seinem Empfinden nach zum Außenseiter: „Weil es das Erste ist, womit man mich identifiziert“. Dass für Eleanor der Sitzplatz neben ihm ausreicht, um in Ruhe gelassen zu werden, kann er nicht als Indiz für sein gar nicht so geringes Standing in der Gruppe werten. Es ist immer wieder großartig, wie gekonnt Rainbow Rowell mit der Differenz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung spielt und diese mühelos verdeutlicht. Da kann man schon ins Schwärmen kommen. So wie John Green, seit dem Riesen-Erfolg seines Romans „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ auch kein Unbekannter, dessen Zitat sogar am Cover wirbt: „Dieser großartige Roman erinnert mich nicht nur daran, wie es ist, jung und verliebt in ein Mädchen zu sein, sondern auch daran, wie es ist, jung und verliebt in ein Buch zu sein.“ Schriftsteller dürfen schon auch mal ein wenig dicker auftragen. Erst recht bei einer so berührenden Liebesgeschichte wie „Eleanor & Park“.

Karin Haller