Philip Gwynne: Ein fetter Fang im langweiligsten Kaff der Welt

Ein Mulloway ist nicht irgendein Fisch. Er ist, wie sein Name in der Sprache der Aborginees bedeutet, „der Größte“. Ein Mythos. Und Hunter Vettori, der ihn jagt, ist nicht irgendein Junge.

Übersetzt von Ilse Rothfuss
Düsseldorf: Sauerländer Verlag 2006


Ein Mulloway ist nicht irgendein Fisch. Er ist, wie sein Name in der Sprache der Aborginees bedeutet, „der Größte“. Ein Mythos. Und Hunter Vettori, der ihn jagt, ist nicht irgendein Junge.

Seit sein Vater beim Felsenfischen spurlos verschwunden ist, ist seine Welt aus den Fugen geraten. Eine Welt, die sich im Minimalradius der australischen Kleinstadt Dogleg Bay abspielt: am Campingplatz, den nun seine Mutter führen muss, auf der verkommenen Mole, an der er Tag für Tag seiner Leidenschaft nachgeht. Fischen ist für ihn nicht Hobby oder Sport, sondern Lebenssinn, das Buch „der perfekte Angler“ für ihn namentlich die Bibel.

Im Zentrum von alledem steht seine Obsession, sein einziges Ziel, der Mulloway. Ihn will er fangen. Mit geringen Erfolgschancen – sind doch die Mulloways seit dem Bau des Staudamms aus Dogleg Bay verschwunden. Weshalb Hunter den Computerfreak Skullster dazu überredet, sich in das System der Damm-Betreiber einzuhacken und die Schleusen zu öffnen. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen.

Begleitet wird Hunter auf seiner Jagd von den anderen „Molenratten“. Von den Zwillingen Storm und Jasmin, den „Fotokopien“, wie er sie nennt, zwei außergewöhnlichen Mädchen, die ihm nicht nur seinen ersten Zungenkuss, sondern auch seine erste große Enttäuschung in Liebesdingen bescheren. Von Miracle, dessen hauptsächliches Interesse ungeachtet seiner Jugend darin liegt, Geld zu verdienen. Und von den Erwachsenen, die diesen Roman bevölkern, jeder und jede einzelne von ihnen eine unverwechselbare und faszinierende Persönlichkeit.

„Ein fetter Fang im langweiligsten Kaff der Welt“ ist eine herausragende Hommage an die Individualität, an die Bedeutung und Berechtigung von Wünschen und Zielen. Hunters Jagd nach dem Mulloway ist Synonym und Metapher für seine Suche nach dem verschwundenen Vater. Dessen Tod er endlich akzeptieren kann, als er den Fisch in einem grandiosen Finale fängt - und wieder freilässt. So wie seine Mutter ihre Ängste überwinden muss, um sich von der Vergangenheit zu lösen: ihre Barrieren werden von dem Wunsch nach einer Tätowierung symbolisiert, den sie nie in die Tat umsetzt, an dem sie immer wieder scheitert. Und es dann doch schafft – mit einem von Schulterblatt zu Schulterblatt springenden Mulloway.

Cover
Es ist ein Roman, der mit Emotionen vollgepackt ist. Dass dies so ganz und gar unprätentiös und unpeinlich gelingt, liegt vor allem an der trockenen Ironie des Ich-Erzählers, der das Geschehen mit einem Witz und einer Bissigkeit kommentiert, die weit über die Reflexionsebene und die verbale Ausdrucksfähigkeit eines realen durchschnittlichen Dreizehnjährigen hinausgehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch die Übersetzungsleistung zu würdigen, die sich mit nationalem Jugendslang und vielen Anspielungen auf australische Lebensbedingungen konfrontiert sah – bei denen sich die Übersetzerin nur mit Fussnoten aus der Affäre ziehen konnte.

Der erste Roman von Philip Gwynne, „Wir Goonyas, ihr Nungas“, 2001 auf Deutsch erschienen, wurde bereits verfilmt. Dem „fetten Fang“ ist möglicherweise dasselbe Schicksal beschieden: Filmreif ist nicht nur der Showdown, sondern auch die Auflösung aller anderen Schicksale, die – so, wie man es sich wünscht – fast durchwegs im Happy End münden. Wie gesagt: ein Roman voller Emotionen. Da gibt es alles: Witz und Trauer, Leichtigkeit und Schwere, und am Ende so etwas wie einen Ausblick auf ein mögliches neues Glück.

Der Text bietet neben hinreißend sarkastischem Humor und unaufgeregter Innenschau auch eine ganze Menge an äußerer Aktion. Die sich natürlich vor allem um das Angeln dreht, davon erfährt man eine ganze Menge. Erfreulicherweise bleibt dieser Intensivkurs über das Fischen durchgehend auch für Leserinnen und Leser spannend, die mit dieser Sportart rein gar nichts anfangen können.

Selbstverständlich werden Assoziationen mit den großen Titeln der Weltliteratur - „Moby Dick“, „Der alte Mann und das Meer“ - wach. Phlilip Gwynnes Roman erzählt seine eigene Geschichte.
Ein Mulloway ist nicht irgendein Fisch. Und „Ein fetter Fang im langweiligsten Kaff der Welt“ ist nicht irgendein Buch.

Karin Haller