Jenny Valentine: Durchs Feuer

Wenn es im eigenen Leben eiskalt ist, braucht man ein Feuer, um sich zu wärmen.

Aus dem Englischen von Klaus Fritz
München: dtv 2016


Wenn es im eigenen Leben eiskalt ist, braucht man ein Feuer, um sich zu wärmen. Und genau dafür sorgt die Ich-Erzählerin Iris in Jenny Valentines neuem Jugendroman „Durchs Feuer“. Die 16jährige ist Pyromanin, seit ihrer Kindheit ist sie süchtig danach, Brände zu legen: „An manchen Tagen habe ich nichts als Feuer im Kopf. (…) Ich sehne mich an den unmöglichsten Orten danach.“

Dass die Jugendliche Probleme hat, verwundert nicht. Ihre Mutter Hannah, eine klassische Model-Schönheit, ist der Inbegriff seelenlos-egoistischer Kälte und Lieblosigkeit, und ihr Stiefvater Lowell Baxter, ein verkrachter Soap-Darsteller, passt perfekt dazu: „Die Fassade sieht gut aus, aber ich sage, im Inneren ist nichts als Luft.“ Für Hannah und Lowell ist das Äußere alles, für Iris nichts. Das sensible Mädchen hat sich sehr bewusst für Unauffälligkeit und Außenseitertum entschieden, nur Thurston, ihr einziger Freund, dringt zu ihr durch. „Einer der vagabundierenden, dürren White-Trash-Typen von der hässlicheren Seite der Stadt, Graffiti-Maestro, Straßenkünstler, Performance-Dichter und Taschendieb mit einem mäßigen Vorstrafenregister.“ Thurston ist mutig und schillernd und lustig und alles, was Iris braucht.

Und dann kommt es zum Bruch, nach einem heftigen Streit bleibt Thurston für Iris unauffindbar. Als sie in ihrer Schule ein Feuer legt, verbrennt sie dabei fast selbst. Den Vorfall nehmen Hannah und Lowell, bis über beide Ohren verschuldet, zum willkommenen Anlass, in den Staaten Hals über Kopf alle Brücken hinter sich abzubrechen und in ihre alte Heimat England zurückzukehren. Und dort passiert das Unvorhergesehene. Plötzlich meldet sich Ernest, Iris´ leiblicher Vater, den sie seit ihrem vierten Lebensjahr nicht mehr gesehen und an den sie keine Erinnerung hat. Er liegt im Sterben. Eine Glücksbotschaft für die nicht gerade unter zu viel Empathie leidende Hannah, die zu Iris Verblüffung immer noch mit dem schwerreichen Kunsthändler verheiratet ist. Sein unmittelbar bevorstehender Tod versetzt Hannah in einen wahren Goldrausch, nun wird sie alles erben – das Haus, die unschätzbar wertvolle Kunstsammlung. Es kann ihr gar nicht schnell genug gehen, dass ihr Mann endlich seinen letzten Atemzug macht.

Cover
So trifft Iris auf ihren Vater, lernt ihn – zögerlich - kennen, zumindest so weit, wie die knapp bemessene Zeit es zulässt. Und erfährt die Wahrheit – all die Jahre hat er verzweifelt nach ihr gesucht.
Es ist sein Glück, dass er für seine Tochter nun doch noch die entscheidende Wendung in ihrem Leben bewirken kann. Und dabei wird „Fire Colour One“, das übrigens real existierende Bild des französischen Avantgarde-Künstlers Yves Klein, das dem englischen Original seinen Titel gibt, eine wesentliche Rolle spielen.

Seit ihrem Debut „Wer ist Violet Park?“ 2009 überzeugt die britische Autorin Jenny Valentine immer wieder mit bemerkenswerten jugendliterarischen Romanen, die außergewöhnliche ProtagonistInnen, spannenden Plot und überraschende Handlungsauflösungen zu bieten haben – so auch hier. Die formale Umsetzung von „Durchs Feuer“ ist dabei durchdacht, ohne konstruiert zu wirken. Der Text setzt nach Ernest´s Beerdigung ein und erzählt dann retrospektiv, wobei Iris in der Vergangenheit häufig hin und her springt. Erinnerungen an ihre Kindheit in den Staaten, an die Freundschaft mit Thurston, an die Ereignisse vor dem überstürzten Wechsel der Kontinente durchbrechen immer wieder die Erzählzeit, in der Iris ihren Vater in den letzten Tagen bis zu seinem Tod begleitet. Und dort schiebt die Autorin auch immer wieder Retrospektiven aus Ernest´ Kindheit dazwischen, in der seine Schwester Margot eine wichtige Rolle spielte. Zu der es eine Verbindung gibt, denn Iris sieht ihrer viel zu jung verstorbenen Tante nicht nur äußerlich ähnlich.

Unübersichtlich wird es trotzdem nicht, im Gegenteil. Wie von selbst fügen sich die einzelnen Bausteine aus den Biographien von Vater und Tochter zu einem immer vollständigeren Bild zusammen. Jenny Valentine besitzt das Talent, Facettenreichtum zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden, unterschiedliche Töne anzuschlagen, ohne dass ein Missklang entsteht. Weil sie ein Gefühl dafür hat, welche Inhalte welche Form brauchen. Ernsthaftigkeit und Sensibilität, wenn es um die Vaterfigur geht, verachtungsvolle Flapsigkeit in der Beschreibung von Hannah und Lowell:
„Ich würde meinem Stiefvater nie vorwerfen, das schärfste Messer in der Schublade zu sein, aber er hat ein ziemlich gutes Gespür für Beleuchtung.“ Es ist vor allem dieser immer wieder aufflammende Sarkasmus, der dafür sorgt, dass der berührende Text nicht in die Rührseligkeit abgleitet. Denn nicht zuletzt ist „Durchs Feuer“ auch die sehr persönliche Liebeserklärung an einen Vater. Kalt lässt einen das Buch jedenfalls sicher nicht.

Karin Haller