Stephanie Tromly: Digby #01

„Die Vorbereitungen für einen typischen Tag mit Digby ähnelten stark den Vorbereitungen auf den Weltuntergang.“

Aus dem Englischen von Sylke Hachmeister
Hamburg: Oetinger 2016


„Die Vorbereitungen für einen typischen Tag mit Digby ähnelten stark den Vorbereitungen auf den Weltuntergang.“ Bevor Zoe an die neue Schule kommt und dort diesen schrägen Außenseiter im schwarzen Anzug trifft, ist ihr Leben trotz der Scheidung der Eltern eigentlich ganz geordnet. Nun, mit Digby, regiert das Chaos. Ungefährlich ist die Freundschaft zu ihm auch nicht gerade, das macht schon der Vorspann klar: „Aber jetzt stehe ich vor einem Haus so voller Sprengstoff, dass man damit die ganze Straße in Schutt und Asche legen könnte, während ich fieberhaft überlege, wie ich wieder in das Haus reinkomme. Aber ich will nicht vorgreifen.“ Und so erzählt Zoe, wie es dazu gekommen ist, dass sie plötzlich vor einer Bombe steht, und schuld ist natürlich Philip Digby. Der Zoe immer wieder dazu bringt, das Gegenteil von dem zu tun, was sie für richtig hält. Oder für richtig zu halten gelernt hat. In die Praxis eines Frauenarztes einzubrechen, weil er verdächtig ist. Von der Polizei dabei erwischt zu werden. Nur so zum Beispiel.

Bremsen lässt sich Digby weder von ihr noch von seinem um Schadensbegrenzung bemühten Freund Henry. Seit vor acht Jahren seine kleine Schwester nachts direkt aus dem gemeinsamen Kinderzimmer entführt wurde, ist Digby auf der manischen Suche nach ihr, und als nun ein anderes, älteres, Mädchen verschwindet, ist er nicht mehr zu halten. Da er kein Nein akzeptiert, ist Zoe unversehens in seine Verbrecherjagd involviert und schlittert von einer gefährlich-absurden Situation in die nächste. Dabei überrascht sie sich auch immer wieder selbst – denn in ihr steckt mehr, als die biedere, strebsame Oberfläche zunächst vermuten lässt ...

Was für ein neuer jugendliterarischer Held! Nervtötend, manisch, leicht soziopathisch, dabei wortgewandt, brillant, charismatisch. Zoe ist von ihm fasziniert, was der Leser sehr schnell, die Ich-Erzählerin selbst gar nicht mitkriegt. Schließlich ist sie ja der festen Überzeugung, in Henry, den gut aussehenden Mädchenschwarm, verliebt zu sein. Ungeachtet der unerfreulichen Tatsache, dass er mit Sloane zusammen ist, Marke blonder Cheedleader-Typ, die zu Zoes Erstaunen am Ende mehr drauf hat, als nur hübsch und gemein zu sein. Aber im Verlauf der Ereignisse geht sowieso alles drunter und drüber.
In „Digby“ hat die in Winnipeg lebende Drehbuchautorin Stephanie Tromly genau das vereint, was viele junge Leserinnen und Leser schätzen: Spannung und Humor. Sie sagt von sich selbst, Tarantino und die Coen-Brüdern zu mögen, und auch wenn dem Jugendroman natürlich die tiefe Schwärze, schonungslose Gewaltdarstellung und Radikalität dieser filmischen Großmeister fehlt, so zeigt „Digby“ doch einen deutlichen Hang zu irrwitzigen, absurd-komischen Situationen, messerscharfen Dialogen, schrägen Figuren und temporeichen Erzählsequenzen.

Cover
Es ist eine höchst unterhaltsame Krimikomödie, die sich nicht darum kümmert, dass sie haarsträubend geplottet ist, weil sie einfach Riesenspaß macht. Und wenn man möchte, kann man auch noch ein wenig Entwicklungsroman hineinlesen, schließlich findet die als Scheidungskind zwischen den verfeindeten Elternteilen stehende Zoe in Digbys Fahrwasser heraus, was sie selber will. Ohne die Einflussnahme des karrieregeilen, egomanischen Vaters, der aus der Ferne versucht, ihr Leben zu steuern.

Wenn es darum geht, sich nicht um das Urteil anderer zu kümmern und unbeirrt dem eigenen Weg zu folgen, ist Digby ein perfekter Lehrmeister. Der sich am Ende auf seine eigene Art von Zoe verabschiedet. Glücklicherweise nicht für immer. Denn Stephanie Tromly arbeitet nach „Trouble is a Friend of Mine“, so das Original des eher spartanischen deutschen Titels „Digby“, gerade am Sequel „Trouble Makes a Comeback“. Es soll heuer im November bei Penguin erscheinen, auch ein dritter Band ist geplant. Höchst erfreulich, dass Digby den Weltuntergang offensichtlich noch nicht gleich auslöst.

Karin Haller