Marjaleena Lembcke: Die Fremde im Garten

„Ich sah mir auch gerne die alten Postkarten an. Einige waren schwarzweiß und zeigten Häuser, die längst abgerissen waren. (...) Die Dinge, die von weit her kamen, zogen mich besonders an.“

München: Nagel & Kimche 2005


„Ich sah mir auch gerne die alten Postkarten an. Einige waren schwarzweiß und zeigten Häuser, die längst abgerissen waren. (...) Die Dinge, die von weit her kamen, zogen mich besonders an.“

Marjaleena Lembckes neues Jugendbuch „Die Fremde im Garten“ erzählt von Dingen, die von weit her kommen. Erinnerungen der 1945 geborenen Autorin an ihre kleine finnische Heimatstadt Kokkola, an die Fünfziger Jahre ihrer Jugend. Hommage an eine überschau-bare kleine Welt, verdichtet in der Ich-Erzählerin Hillevi.

Hillevi ist dreizehn, ein ruhiges, in sich ruhendes Mädchen, sensibel und künstlerisch begabt. Der verwilderte Garten des leerstehenden Nachbarhauses bietet ideale Umgebung und Inspirationsquelle für ihre romantischen Tagträumereien. Bis plötzlich – nach vierzig Jahren – Viola, die Besitzerin, zurückkehrt: eine streng wirkende alte Frau, mit der Hillevi immer mehr Zeit verbringt. Gemeinsam sitzen sie im Garten, zeichnen und schweigen. Violas mysteriöse Vergangenheit erhellt sich dennoch nicht, das Mädchen muss sich mit den Informationsbrocken ihrer Eltern begnügen: Von Schönheit und Eleganz ist die Rede, von Rebellion und Nervenheilanstalt. Weshalb die reiche junge Erbin damals eingeliefert wurde, erfährt Hillevi erst ganz am Ende des Textes, als Viola die Stadt schon wieder verlassen hat.

Dieser Erzählfaden führt durch die Geschichte einer unkompliziert-glücklichen Kindheit, geliebt und beschützt von den Eltern, eingebunden in wenige, doch tiefe Freundschaften. Die Pubertät mit ihren körperlichen Veränderungen ist zunächst Anlass zu Irritation und Sorge, doch als sie dann schließlich da ist, verliert sie auch schon wieder ihren Schrecken: „Wir bekamen Fernsehen und ich meine Tage.“

Jungen spielen eine Rolle, klar, aber in aller Unschuld, ein nach Blaubeeren schmeckender Kuss ist das Höchste der Gefühle, das unschlüssige Schwanken zwischen zwei sehr unterschiedlichen Freunden spielt sich noch nicht auf der körperlichen Ebene ab. So wie Hillevi insgesamt ziemlich im Kopf lebt: in ihren Büchern, ihren Fantasien, in den Bildern, die sie sich von den Dingen macht, bevor sie sie zeichnet.

Dieses „innere Sehen“ spielt auch in der Beziehung zwischen der alten Frau und dem jungen Mädchen eine besondere Rolle. Nicht zufällig heißt es im einzigen Brief, den Hillevi von Viola erhält: „Wir zeichnen immer Bilder voneinander. Viele Bilder bleiben in unseren Köpfen. Sie werden nie sichtbar.“

Viola weiß, wovon sie redet. Ist sie mit ihrer ungewöhnlichen Biographie doch ideales Opfer der kleinstädtischen Gerüchteküche, die im Gemischtwarenladen von Hillevis Eltern kulminiert. Durch „die Fremde im Garten“ lernt die Ich-Erzählerin wie wichtig es ist, niemals die Neugierde zu verlieren und sich nicht auf ein einmal gefasstes „Kopfbild“ zu verlassen. „Ich portraitierte all die Menschen, die ich kannte. Und mir schien, als sähe ich sie beim Zeichnen jedes Mal neu.“

Cover
So schließt das unaufgeregt - poetische Buch, in dem man es sich bequem machen kann wie in dem wild-schönen Sommergarten, der Titel und Programm ist. Ruhige, klare Prosa, die ihre Spannung kaum aus äußeren Ereignissen sondern aus den Beziehungen zwischen den Figuren gewinnt. Diese sind – allesamt – wie mit Weichzeichner portraitiert, über allem liegt ein liebevoller, warmer Erzählton, der aber immer wieder von Stellen lakonischen Humors und schlichter Selbstironie gebrochen wird.

Marjaleena Lembcke – die seit 35 Jahren in Deutschland lebt und auf Deutsch schreibt und übrigens gerade erst mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet wurde – pflegt einen sehr sorgfältigen und differenzierten Umgang mit der Sprache. So ruhig da alles - Stil, Handlungsführung, Figuren - auf den ersten Blick wirken mag, so amüsant und leicht ist es auch wieder. So, wie in einer Hängematte im Garten zu liegen.

Karin Haller