
Kathrin Steinberger: Der Rosengarten
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2024, 288 S., € 22,00, ab 14
Einen Rosengarten verspricht der Buchtitel dieses historischen Romans, der zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt. Und den findet die 14-jährige Heldin im Lauf der Geschichte auch – in Form eines alten, aufgelassenen Wirtshauses, eine Art geheimer Schutz- und Zufluchtsraum, der zunächst nur ihr allein gehört. Später aber wird sie ihn mit einem jungen Soldaten teilen, der vom Stellungskrieg am Isonzo desertiert ist. So kommen im Buch Front und sogenannte Heimatfront zusammen.
Bis dahin ist es aber ein weiter Weg, der für die Heldin im Wien des Jahres 1916 zunächst nur bergab führt. Der Traum von einer Lehre als Schneiderin in einem der feinen Salons in der Innenstadt ist für die jugendliche Rosa aus Hernals längst ausgeträumt. So geschickt ihre Hände auch sind, verdient sie jetzt bloß nebenbei ein paar Heller mit dem Ausbessern und Ändern der Kleider anderer Leute. Eine Mutter hat sie schon seit zwei Jahren keine mehr und nun kommt auch der Vater, ein ehemaliger Kutscher, bei einem gefährlichen Arbeitseinsatz in einer Rüstungsfabrik ums Leben. Rosa landet als Waisenkind zuerst im Kinderheim und dann als „Kostkind“ und Haushaltshilfe bei der Frau Gruber in Ottakring.
Da sind gerade erst ein paar knappe Kapitel des Buches rum und man hat sich – trotz der erschütternden Ereignisse und Schicksalsschläge – festgelesen, will unbedingt wissen, wie das Leben dieser Rosa weitergeht. Nicht zuletzt deshalb, weil die Autorin die Geschehnisse mit einer Art obsessivem Detailrealismus zu erzählen weiß. Man hört mit Rosa das Rauschen der Bassena, an der sich der Vater allabendlich beim Heimkommen die schmutzigen Hände wäscht, man bemerkt die schiefen Absätze seiner Kutscherstiefel, schief „von der Art und Weise, wie er auf dem Kutschbock saß und sie vor sich abstützte“. Man riecht den Duft der wenigen Erdäpfel, die zusammen mit einem Stück Butter und einer Scheibe Brot ein Festschmaus sind in Zeiten des Hungers und des allgemeinen Mangels. Dieser genaue Blick auf den Alltag aus einer Erzählperspektive ganz nah an der Heldin Rosa zieht sich durch das ganze Buch. Ein Blick, der auch dann nicht weg schaut, wenn Rosa später mit ihren geschickten Händen vorsichtig das zerschossene Bein des jungen Deserteurs versorgt – und man dem Eiter, der Fäule und dem Wundbrand so nah ist, dass man es fast riechen kann. Das Leben in der Wiener Vorstadt in den Kriegsjahren hat Kathrin Steinberger akribisch recherchiert und schildert es eindringlich und mit viel Lokalkolorit. Es ist ein Alltag zwischen Bezugsscheinen und Lebensmittelmarken, knappem Kohlenvorrat und unberechenbarer Inflation, zwischen Schleichhandel und Schwarzmarkt. Rosa ist eine genaue Beobachterin und hält immer wieder knappe, lakonische Resümees bereit: „Überleben, dachte sie, das ist es wohl. Wir sind gar nicht da, wo die Kämpfe stattfinden, trotzdem reden alle nur vom Überleben“.

Das mit dem Überleben fällt bei der Frau Gruber leichter. Die ehemalige Wirtin leidet an Diabetes, verfügt aber auch im dritten Kriegsjahr noch über üppige Essensvorräte und ausreichend Geld, um damit skrupellose Geschäfte zu machen. So ist sie auch die mit Abstand schillerndste Figur in diesem Buch, von deren Vergangenheit man gern mehr erfahren hätte. Viel eindeutiger als gut oder böse zu lesen sind da schon andere Figuren, mit denen es Rosa zu tun bekommt: Etwa der verständnisvolle Armenarzt, der Rosa mit Medikamenten versorgt, auch wenn sie ihm aus der Not heraus Lügen auftischt. Oder der Fleischhauersohn, der sich zunächst nur geschmacklos und anzüglich geriert, später dann aber versucht, Rosa zu vergewaltigen. Unwillkürlich denkt man an Ödön von Horvath und seinen Oskar aus den „Geschichten aus dem Wienerwald“.
Unbedingt erwähnen muss man aber als literarische Referenz vor allem Renate Welsh, der das Buch gewidmet ist, und die mit „Johanna“ eine wegweisende Biographie über eine Dienstbotin im 20. Jahrhundert geschrieben hat, die mittlerweile zu Recht als Klassiker der österreichischen Literatur gilt. In diese Traditionslinie weiblicher Emanzipationsgeschichte schreibt sich auch Kathrin Steinberger mit ihrem neuen, unlängst mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien ausgezeichneten Roman ein.
Am Ende verlässt Rosa – vereint mit dem Deserteur Simon – ihren Rosengarten in Richtung einer unsicheren Zukunft. Aus dem Himmel über Wien fallen keine Bomben, sondern Flugblätter mit italienischer Propaganda. „Furchtbar geschwollen“, findet die Heldin diesen „Schrieb“, eine darin formulierte Frage bringt sie aber sogleich zum Nachdenken. „Was hofft ihr?“, steht da. Und so schließt dieses Jugendbuch auch mit einem Maß an Zuversicht.