Paul Rambali: Der Mann, der barfuß lief

„Er war allein. Der Marathon war sein Lauf. Er sah nur noch den Asphalt, der unter ihm dahinrollte, eine dunkle, majestätische Zielgerade.“

Aus dem Englischen von Birgit Schmitz
Hamburg: Carlsen 2008


„Er war allein. Der Marathon war sein Lauf. Er sah nur noch den Asphalt, der unter ihm dahinrollte, eine dunkle, majestätische Zielgerade.“

Rom, 10. Juni 1960, Olympische Spiele. Da kommt einer, von dem noch nie jemand etwas gehört hat, und gewinnt den Marathonlauf, barfuss. Eine Geschichte wie aus einem Märchen. Die Geschichte des Äthiopiers Abebe Bikila, des ersten Olympiasiegers aus einem schwarzafrikanischen Staat, der damit über Nacht zum Helden eines ganzen Kontinents wird. Bricht den Weltrekord, gewinnt die nächste Goldmedaille, 1964 in Tokio, diesmal mit Schuhen. Seinen Lebensweg, beginnend als Ziegenhirt in einem abgelegenen Bergdorf bis hin zu dem Autounfall, der den Ausnahmeathleten querschnittgelähmt an den Rollstuhl fesselt und an dessen Folgen er fünf Jahre später, 1973 stirbt, zeichnet Paul Rambali in seinem neuen Jugendroman nach.

Doch „Der Mann, der barfuss lief“ ist mehr als nur eine Sportlerbiographie. Bikilas Leben wird unmittelbar in den Zusammenhängen gezeigt, in denen es steht: Der Geschichte Äthiopiens, Traditionen, Religion, Alltag, politische Hintergründe, der Herrschaft des „Negest Negus“, des Königs der Könige, Haile Selassie I. Ausgewogen und unaufdringlich erzählt das Buch sehr viel über ein Land, das in Europa vor allem durch seine Hungersnöte bekannt ist, von dem man aber nur wenig weiß. Beschreibt lebendig und nachvollziehbar Landschaften und Menschen, Dörfer und die Hauptstadt, Addis Abeba.

Die Themen Sport und Politik bilden die konzentrischen Kreise, in denen sich die bemerkenswerte Karriere des legendären Marathonläufers bewegt. Auch der Mensch Abebe Bikila wird vor allem aus diesen Blickrichtungen gesehen. Seine Ehe oder seine Kinder werden nur am Rand notiert, während seine familiären und in der Tradition verhafteteten Wurzeln breiteren Raum einnehmen. Abebe selbst ist kein politischer Mensch, auch wenn er unfreiwillig dazu wird. Sportliche Erfolge bringen nationale Begeisterung und internationale Aufmerksamkeit. Dass er, der seinem Kaiser als Leibgardist mit bedingungsloser Ergebenheit dient, von diesem als Volksheld instrumentalisiert wird, ist ihm nicht wirklich bewusst. Er ist kein Intellektueller, kein Revolutionär. Er ist Läufer.

Cover
„Der Mann der barfuss lief“ ist ein wunderbares Stück Sportliteratur. Die Szenen, in denen über das Laufen erzählt wird, über Selbstvergessenheit und Konzentration, das fast automatisierte Überwinden körperlicher Schmerzgrenzen, zählen zu den stärksten Passagen. In ihnen wird die Faszination des Marathonlaufes spürbar.

Und es ist ein Buch, das die historische Situation im Afrika der 60er Jahre ohne Parteinahme und klar vergebene Sympathien vermittelt: Abebes Erzählperspektive wechselt immer wieder mit der seines finnischen Trainers Onni Niskanen, der das Talent des Gardisten entdeckt und aufbaut, und mit der von Kaiser Selassie selbst. Die Innenschau der Figuren mit ihren Gedanken und Gefühlen ist zwangsläufig erzählerisch ausgestaltet und fiktiv, aber glaubwürdig.

Der Text entwickelt eine kontinuierliche Spannung, geht dabei aber sehr ruhig vor. Erzählt, trotz mehrerer Höhepunkte wie dem verhinderten Putsch gegen Selassie und natürlich den beiden Olympischen Läufen, mit gleichbleibendem Tempo – wie bei einem Marathonlauf eben. Nur dass es bei diesem 400 Seiten starken Roman keine Ermüdungsphasen zu überwinden gibt.

Karin Haller