Jerry Spinelli: Der Held aus der letzten Reihe

Zinkoff ist wie alle anderen Kinder. Er läuft, spielt, fährt mit dem Fahrrad. Er möchte Briefträger werden wie sein Vater. Und er ist ganz anders als die anderen ...

Deutsch von Andreas Steinhöfel
Hamburg: Dressler 2004 | 216 S. | ab 10 Jahren


Zinkoff ist wie alle anderen Kinder. Er läuft, spielt, fährt mit dem Fahrrad. Er möchte Briefträger werden wie sein Vater. Und er ist ganz anders als die anderen. Er fällt über seine Füße, bricht in scheinbar unmotiviertes Gelächter aus. Wenn ihm ein Mitschüler seine Kappe wegnimmt, strahlt er ihn nur an und sagt „Okay“. Im Unterricht meldet er sich zwar dauernd, gibt aber meistens die falschen Antworten, und im Sport ist er sowieso eine totale Niete. Wenn er auffällt, dann nur, weil er sich lächerlich macht.

Zinkoff ist ein „Loser“. So heißt Jerry Spinellis neuester Roman auch. Allerdings nur im englischen Original; der deutsche Titel gibt dem Buch einen ganz anderen Drall: „ Der Held aus der letzten Reihe“, womit der Schluss des Buches vorweggenommen ist.

Was den Loser Donald Zinkoff von anderen Schicksalsgenossen unterscheidet, ist die schlichte Tatsache, dass er sich nicht als solchen sieht. Auf der Basis der liebevollen Zuwendung seiner Eltern verfügt er über das Selbstvertrauen eines jungen Forrest Gump. Seine Einstellung zur Welt und allem, was ihm begegnet, ist so grundsätzlich und unerschütterlich positiv, dass auch die widrigsten Umstände ihn nicht daran hindern, glücklich zu sein. Auch wenn er dauernd verliert, er gibt niemals auf.

Spinelli begleitet als auktorialer Erzähler seine Hauptfigur vom Anfang der Grundschule bis zur High School, dokumentiert eine Individualität jenseits von Konformitäten. So wie er es schon zuvor in seinen Romanen „Stargirl“ und „East End, West End und dazwischen Maniac Magee“ getan hat. Allesamt Markierungen anspruchsvoller zeitgenössischer Jugendliteratur, übersetzt vom nicht minder renommierten Autor Andreas Steinhöfel.

In Spinellis Texten werden junge Menschen entworfen, die mit radikaler Ausschließlichkeit sie selbst sind, ohne sich auch nur im geringsten um Gruppenzwänge oder Wettbewerbsregeln zu kümmern. Zinkoff ist fast zu gut, um wahr zu sein. Seine Eltern sowieso, mit geradezu unglaublicher Geduld und unerschöpflichem Verständnis ausgestattet. Egal, ob der Junge in die Briefträgertasche seines Vaters kotzt oder eine mehr als peinliche Giraffenkappe trägt. Das Buch ist Fiktion, keine Außenseiter-Doku.

Cover
Deshalb darf es auch so etwas wie ein Happy End geben, wo es danach aussieht, als ob der ewige Versager sein Loser-Image ablegen kann. Da kann es auch schon mal feuchte Leseraugen geben. Dass das Buch trotzdem nie peinlich wird, liegt am Können des Autors, Träger des wichtigsten amerikanischen Jugendbuchpreises, der Newbery Medal, an seiner Fähigkeit, immer wieder mit Ironie Distanz zu wahren. Die unverhohlene Sympathie, mit der Spinelli seinen Zinkoff schreibt, wird ständig durch staubtrockenen Humor gebrochen.

„Mrs. Biswell hat schon viele schludrige Schüler kennen gelernt, aber Zinkoff ist eine Klasse für sich. Besonders dann, wenn er einen Stift zwischen den Fingern hält. Seine Zahlen sind eine Katastrophe. Die Fünfen sehen aus wie Achten, die Achten wie Nullen, eine Vier sieht aus wie eine Sieben. Zum Glück gibt es nicht mehr als zehn Zahlen. Das Alphabet hingegen schenkt ihm sechsundzwanzig Buchstaben, die er zermetzgern darf. Und als es darangeht, die Kinder Schreibschrift zu lehren, könnte sie genausogut versuchen, das einer Gurke beizubringen.“

Es macht Spaß, das Buch zu lesen. Und es fordert die prinzipielle Bereitschaft, sich mit dem Konstrukt von Kindheit auseinanderzusetzen. „Der Held aus der letzten Reihe“ ist nicht zuletzt auch ein Nachdenken über das Erwachsenwerden an sich. Ein Jugendbuch für Erwachsene.

Karin Haller