John Henry Eagle: Der eiserne König

„Es war einmal ….“ – ein Fantasy-Roman, der fast alles woanders klaut. Mit schamloser Offenheit bedient sich „Der eiserne König“ in der Grimmschen Märchenwelt, in Fabeln und Mythen wie in einem Supermarkt der Namen, Geschichten und Motive.

Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2011


„Es war einmal ….“ – ein Fantasy-Roman, der fast alles woanders klaut. Mit schamloser Offenheit bedient sich „Der eiserne König“ in der Grimmschen Märchenwelt, in Fabeln und Mythen wie in einem Supermarkt der Namen, Geschichten und Motive. Nimmt sie, verdreht und verändert sie, dichtet Neues hinzu, und in dieser hemmungslos durcheinander gewürfelten Melange des intertextuellen Spiels entstehen Eigenständigkeit, Witz und Originalität.

Hier nimmt ein Autor seine Geschichte zwar schon ernst, aber eben nicht zu sehr – da ist Platz für Ironie und Selbstironie. In diesem Kontext steht auch die phantasievoll erdachte Biografie des Autors John Henry Eagle (angeblich Sohn eines in der Lüneburger Heide stationierten britischen Offiziers und ehemaliger Börsenmakler in London), ein offenes Pseudonym, hinter dem sich der deutsche Schriftsteller und Übersetzer Henning Ahrens verbirgt.

Fast liebevoll dichtet er seine Figuren, Hänsel, Gretel, Rumpelstilzchen, Schneewittchen, die Jungfer Maleen, um und setzt sie im „Was danach geschah“ – Gedankenexperiment in ein wenig märchenhaftes Leben nach dem märchenhaften Ende. Aus Sneewitt ist eine kämpferische, feministisch ausgerichtete Rothaarige geworden, die mit scharfen Worten wie mit Waffen gut umzugehen vermag. Hans ist bei einer Räuberbande gelandet, Gretel eine Dirne und die Muhme pafft ununterbrochen dubiose bewusstseinsverändernde Kräuter. Doch es soll nicht der Eindruck entstehen, es handle sich um Karikaturen, das ist keine von ihnen: Die meisten der vielen tragenden Charaktere, denn eine einzelne Hauptfigur gibt es nicht, sind tragische, gebrochene, an ihrer Vergangenheit leidende und scheiternde Menschen – von denen manche im Laufe der Geschichte ihr Glück und ihre Bestimmung finden, manche den Tod.

Worum es geht? Natürlich um den alten Kampf Gut gegen Böse und die Errettung der Welt – in der Fantasy geht es einfach keine Nummer kleiner. Hans erhält von den dreizehn weisen Weibern den Auftrag, die Esche zu finden, die seine Welt Pinafor repräsentiert. Womit die Brüder Grimm in die nordische Mythologie ausgewandert wären, in der der Weltenbaum Yggdrasil rein zufällig auch eine Esche ist. Es gilt, die grüne Kraft zu schützen und zu stärken, die allein sich dem wieder auferstandenen Eisernen König entgegenstellen kann. Stirbt die Esche, stirbt die Welt, und das Böse hat gesiegt.

Gemeinsam mit fünf Gefährten schlägt sich Hans auf seiner Mission durch das immer dunkler werdende Pinafor und später im Kampfgetümmel herum, begleitet von Reineke Fuchs und dem Dachs, Meister Grimbart, deren Streitgespräche den Text mit viel Witz bereichern.

Cover
Auf der einen Seite stehen die Getreuen rund um die eigentlichen Herrscher Pinafors, die Gografen, die zuerst einmal aus ihrem tiefen Schlaf hinter Dornenhecken erweckt werden müssen, bevor sie irgendetwas tun können. Auf der anderen Seite die dunklen Heerscharen des Eisernen Königs, die wilde Jagd, Kultknechte und böse Hexen, Blaubart und Eisenhans. Da wird gekämpft wie im Herrn der Ringe, es fließt massenhaft Blut, Köpfe rollen, Asseln wogen, Wunden werden im wörtlichen Sinn geleckt – zimperlich darf man da nicht sein, aber für Jugendliche ist das ohnehin kein Thema, und für Fantasy-Leser schon gar nicht. Die Perspektiven wechseln zwischen den beiden Lagern, was eine Art Allround-Überblick schafft, den man auch braucht, um die zwischen Schauplätzen, Figuren und Zeiten hin und her springende Handlung bruchlos verfolgen zu können. Außerdem sorgt der beständige Perspektivenwechsel auch für eine gehörige Portion Dynamik und Spannung.

Obwohl einem vieles mehr oder weniger bekannt vorkommt – die Lektüre langweilt nicht, sondern fesselt. Weil nicht eine Geschichte nacherzählt wird, sondern sich viele Geschichten zu einer neuen verbinden, die so eben noch nicht da gewesen ist. Die mit intensiven sprachlichen Bildern arbeitet, Spannung klug aufbaut, Schauplätze lebendig ausgestaltet, und auch immer wieder überrascht. Wenn etwa Figuren ihre Färbung ändern, wie zum Beispiel Grimm, ein wieder zum Leben erweckter Untoter, zu Beginn das personifizierte Böse: Er wird im Laufe der Geschichte immer menschlicher und nahezu mitleiderregend-sympathisch, sofern man das von einer Figur sagen darf, deren Hauptaktivität darin besteht, irgendetwas niederzumetzeln.

Zugegeben: die eine oder andere Länge in den Kampfszenen hätte einen Hauch gekürzt werden können, aber trotzdem: Das Buch ist spannend, ausgesprochen flüssig lesbar, atmosphärisch dicht und an einigen Stellen sehr witzig – eine für dieses Genre seltene Nuance.

Es war also einmal: ein Fantasy-Roman, den auch nicht Fantasy-affine Menschen mit Vergnügen lesen können, wenn sie mal wieder Lust auf ein opulentes phantastisches Abenteuer in epischer Breite haben. Und zum November-Nebel passt „Der eiserne König“, in dem die Sonne nur höchst selten scheint, auch wettermäßig ganz ausgezeichnet.

Karin Haller