
Ida, Chris und Emil im Zug
„Unsere nächsten Halte: Saudorf, Unterstinkenbrunn, Äußere Einöde, Edelschrott und Grins.“ Sarah Michaela Orlovský lässt einen Intercity von Hühnergeschrei nach Großklein fahren. Famos ausgedacht? Ja und nein. Tatsächlich gibt es diese Orte alle in Österreich, allerdings ohne Intercity-Anschluss. So eigenwillig, kurios und randständig die Stations-Namen, so eigenwillig, abenteuerlich und divers auch die Mitreisenden in diesem wimmeligen Zugabenteuer mit drei kindlichen HeldInnen. Ida und Emil sind klar als Junge und Mädchen auszumachen, Chris klingt nicht nur genderneutral, sondern ist bewusst auch so gezeichnet, zudem mit eindeutig dunklerer Hautfarbe als die beiden anderen. Gemeinsam ist den dreien aber der Sinn für Spass und Unfug. Denn während der Schaffner verzweifelt einem freifliegenden Papagei hinterdreinläuft, kapern die Kinder das Bordmikro und fordern die Mitreisenden zu allerhand Bewegung und Interaktion auf. Kleidertauschbörse in Wagen 24, lustiges Pärchen-Finden-Spiel in Wagen 26 …
Dass sie dabei zuallererst ausgerechnet alle Bibliophilen zu einem Lesezirkel bitten, naja, ein bisserl sehr brav, lassen wir als ewig unerschütterlich optimistische Literaturvermittler:innen aber so mal durchgehen. Und freuen uns über das knappe Szenario von Orlovský, das mit ganz wenig Text daherkommt und Michael Roher freie Hand für grandios wimmelige Waggonbilder mit vielen fantastischen Figuren gibt. Es treten auf: Leute wie du und ich und Ida und Chris, darüberhinaus jede Menge fiktive Held:innen der Kinderliteratur wie der Populärkultur: Räuber Hotzenplotz und Pippi Langstrumpf und ihr Seeräuber-Papa, Spongebob und Gargamel, Men in Black und Amy Winehouse (Back to Black), Marcel Marceau und Charlie Chaplin, Das kleine Ich-bin-Ich und Peppa Wutz, ein Fuchs und ein gestiefelter Kater, Batman und Elvis, ein Prinz und ein Priester, ein Clown und ein Alien, ein indischer Elefant und ein chinesischer Drache, ein Löwe, eine Giraffe und ein Tukan, jede Menge Opa- Oma-Mama-Papa-Figuren, mit Handtasche, Billa-Sackerl, Rucksack und Trolley, mit Handy und Buch, mit Rollstuhl (ein König!) oder Sarg (huch, ein Vampir!).
Ein buntes, schrilles, diverses Mischmasch. Dabei geraten Rollenbilder und Identitäten bewusst ins Wanken. Ordnung ins Chaos bringt Rohers Reduktion in der Farbgebung. Mit Buntstiften in den Farben gelb, rosa, hellrot, dunkelrot und blau hat er alle Figuren erst gezeichnet und dann via Scans zu Wimmelbildern arrangiert. Selten macht das Fahren in einem überfüllten Zug so viel Spaß wie hier.
Klaus Nowak

Sarah Michaela Orlovský & Michael Roher: Ida, Chris und Emil im Zug
Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"