Gutenachtgeschichten für Celeste

Weil die Eltern bei den Nachbarn eingeladen sind, bleiben Boris und Celeste allein zuhause. Also gibt es Chips und Kekse zum Abendessen und danach will die kleine Schwester eine richtig gruselige Gute-Nacht-Geschichte hören. Das lässt sich Boris nicht zwei Mal sagen und erzählt von einem kleinen Mädchen, das in einer einsamen Gegend auf ein furchtbares Gespenst trifft. »Langweilig«, unterbricht ihn Celeste: »… als ich klein war, hatte ich ein Buch mit Gespenstern drin, aber die waren ganz lieb. Gespenster sind überhaupt nicht gruselig.« Die Riesenkröte, die Boris danach ins Spiel bringt, erinnert seine Schwester an die süße Babykröte, die Mama mal gerettet hat, eine fleischfressende Pflanze ist so schön rosa, ein schrecklicher Affe erregt Celestes Mitleid, weil er der letzte seiner Art ist … Vor nichts, was Boris zum Besten gibt, gruselt sich Celeste auch nur ansatzweise. Kein Wunder, dass es ihm irgendwann reicht: »Dann erzähl du doch eine gruselige Geschichte …«

Das Szenario ist denkbar einfach – und doch bestens geeignet, mit Ole Könnecke und Nikolaus Heidelbach zwei Illustratoren zusammenzubringen, die stilistisch unterschiedlicher nicht sein könnten: Der zurückhaltende Hamburger Könnecke mit dem klaren Zeichenstrich und dem freundlichen Humor zeigt mit minimalen Farbeinsatz in einer fröhlichen Bildgeschichte jeweils auf der rechten Seite, wie der Abend von Boris und Celeste abläuft. Und der hintergründige Rheinländer Heidelbach bringt Boris Erzählansätze auf der linken Seite altmeisterlich auf den abgründigen Bild-Punkt: Steinerne Figuren beugen sich in der Dämmerung einem Mädchen entgegen, ein riesiger Krötenkopf bringt sich hinter einer kleinen Köchin in Stellung, die in einer großen Pfanne Froschschenkel anbrät … Mit grausigen Kreaturen und stoischen Kinderfiguren bevölkert Nikolaus Heidelbach seine düsteren Landschaften und macht so das Potential von Boris Geschichten deutlich. Die in Celestes Kopf aber immer – vorgeblich? – kindlich-naiv in eine harmlose Richtung gewendet werden. Für die zarten Seelen unter den Lesenden werden allerdings wohl Heidelbachs Horrorszenarien stärker wirken als Celestes Mut. Nicht zuletzt deshalb ist es für eine Gute-Nacht-Geschichte mehr als angemessen und eine schöne Pointe oben drauf, dass die Gruselgeschichte, mit der die abgebrühte Kleine am Ende ihren Bruder umhaut, von Ole Könnecke ins Bild gebracht wird.
Famos!

Franz Lettner

Nikolaus Heidelbach & Ole Könnecke: Gutenachtgeschichten für Celeste

Nikolaus Heidelbach & Ole Könnecke: Gutenachtgeschichten für Celeste

Ein sehr gruseliges Bilderbuch
München: Hanser 2025, 32 S., € 18,50, ab 5 Jahren

Dieser Buchtipp erschien zuerst in "1001 Buch"